Euro-Inflation gibt vorerst nach
ms Frankfurt
Die Inflation im Euroraum ist im Juni leicht von 2,0% auf 1,9% zurückgegangen – womit sie den starken Aufwärtstrend seit Jahresbeginn vorerst unterbrochen hat. Bereits in den nächsten Monaten dürfte es mit der Teuerungsrate aber wieder spürbar nach oben und über das EZB-Ziel von knapp 2% hinausgehen – was die Debatte über einen stärkeren und dauerhafteren Inflationstrend befeuern dürfte. Damit werden alle Augen auf die Europäische Zentralbank (EZB) gerichtet bleiben, und die Diskussion auch im EZB-Rat über die Dauer der ultralockeren Geldpolitik dürfte weiter an Fahrt aufnehmen.
Thema erreicht die Politik
Die Frage, ob es sich bei dem unerwartet starken Inflationsanstieg seit Jahresbeginn um ein rein temporäres Phänomen handelt oder doch um einen längerfristigen Trend oder gar ein neues Inflationsparadigma, ist derzeit für Notenbanker, Ökonomen und Marktteilnehmer die alles entscheidende Frage – und sie erreicht zunehmend auch die Politik und die breite Öffentlichkeit. Die EZB sieht den Preisanstieg als temporär und macht deshalb keinerlei Anstalten, sich von ihrer beispiellos expansiven Geldpolitik abzukehren. Die Zweifel an dieser Sicht und die Kritik an diesem Kurs nehmen aber zu.
Die Mehrheit der Euro-Hüter, die für einen unveränderten Kurs plädieren, werden sich durch die am Mittwoch veröffentlichten Daten wohl bestätigt sehen. Erstmals seit September 2020 ging die Jahresrate im Monatsvergleich zurück. Die 2,0% im Mai hatten nicht nur die höchste Rate seit Herbst 2018 bedeutet, sondern auch erstmals seitdem oberhalb des mittelfristigen EZB-Inflationsziels von unter, aber nahe 2% gelegen. Zudem ging nun im Juni auch die Kernrate ohne Energie und Lebensmittel von zuvor 1,0% auf 0,9% leicht zurück. Sie gilt als besserer Gradmesser für den zugrundeliegenden Preisdruck in der Eurozone.
Auf der anderen Seite dürfte die Teuerung aber in der zweiten Jahreshälfte wieder spürbar zulegen. Hintergrund ist nicht zuletzt, dass dann die in der zweiten Jahreshälfte 2020 vorübergehend gesenkte und inzwischen wieder erhöhte Mehrwertsteuer in Deutschland durchschlägt. Im weiteren Jahresverlauf rechnet die Bundesbank für Deutschland gar mit Raten von mehr als 4%. Im Euroraum insgesamt könnte die Inflation die Marke von 2,5% überschreiten und auf einem solchen Niveau verharren. Nach Jahren unterhalb des 2-Prozent-Ziels haben die meisten Euro-Hüter aber bereits erklärt, auch mal ein gewisses Überschießen der 2% akzeptieren zu wollen.
Entscheidend dürfte dann sein, wie stark dieses Überschießen ausfällt und wie lange es anhält. Der anhaltende Preisdruck auf den den Verbraucherpreisen vorgelagerten Preisstufen schürt zunehmend Zweifel, dass es allein Basis- und Sondereffekte sind, die derzeit die Inflation treiben. Die Commerzbank betonte am Mittwoch, dass für den Rückgang der Euro-Kerninflation im Juni der im Vergleich zum Vorjahr deutlich schwächere Anstieg der Preise für Pauschalreisen maßgeblich gewesen sei. Ohne diesen Effekt wäre die Kernrate demnach um 0,2 Prozentpunkte gestiegen. „Dies deutet darauf hin, dass sich allmählich auch auf der Verbraucherstufe der Preisauftrieb verstärkt“, sagte Commerzbank-Volkswirt Christoph Weil.
Die EZB betont derweil stets, dass ein starkes Anziehen der Löhne auf dem Arbeitsmarkt, was für einen nachhaltigen Preisschub sorgen würde, derzeit nicht zu sehen sei. Die EZB hatte daher auf der jüngsten Zinssitzung im Juni ihren ultralockeren geldpolitischen Kurs bekräftigt.
Zuletzt hat die öffentliche Debatte über den weiteren Kurs aber bereits mächtig Fahrt aufgenommen – vor allem jene rund um das 1,85 Bill. Euro schwere Corona-Notfallanleihekaufprogramm PEPP. Die Hardliner („Falken“) im EZB-Rat wie Bundesbankchef Jens Weidmann betonen die Notwendigkeit, nach Überwindung der Pandemie PEPP rasch zu beenden. Die „Tauben“ dagegen mahnen zur Vorsicht. Das italienische Direktoriumsmitglied Fabio Panetta hatte die Diskussion zu Wochenbeginn gehörig angeheizt, als er dafür plädierte, die große Flexibilität von PEPP über die Pandemie hinaus zu bewahren und etwa auf andere Programme zu übertragen (vgl. BZ vom 29. Juni).