Euro-Inflation überrascht und heizt EZB-Debatte an
ms Frankfurt
Die Inflation im Euroraum hat im Oktober erneut viel stärker angezogen als gemeinhin erwartet und sie liegt mit voraussichtlich 10,7% nun erstmals seit der Euro-Einführung 1999 im zweistelligen Bereich. Damit erhöht sich der Druck auf die Europäische Zentralbank (EZB), die Leitzinsen weiter spürbar anzuheben – zumal die Euro-Wirtschaft im dritten Quartal positiv überrascht hat. Zugleich nimmt aber die Diskussion zu, dass die EZB mit ihren Zinserhöhungen selbst zum Konjunkturrisiko wird. Die Euro-Notenbanker ringen bereits intensiv um den weiteren Kurs.
Wie Eurostat am Montag in einer ersten Schätzung mitteilte, sprang die Inflation im Oktober von zuvor 9,9% auf 10,7%. Von Reuters befragte Experten hatten nur mit 10,2% gerechnet. Die Inflation liegt damit mehr als fünfmal so hoch wie das Ziel der Währungshüter von 2,0%, das sie als optimal für die Wirtschaft ansehen. Bereits für September war zunächst eine Rate von 10,0% gemeldet worden, die dann auf 9,9% korrigiert wurde. Jetzt ist die Zweistelligkeit aber sicher erreicht.
Haupttreiber waren erneut die Energiepreise als Folge des Ukraine-Kriegs und der Energiekrise. Sie wiesen mit 41,9% die höchste jährliche Rate auf – nach 40,7% im September. Aber auch Lebensmittel verteuerten sich erneut kräftig – um 13,1%, gegenüber 11,8% im September. Industriegüter ohne Energie verteuerten sich um 6,0% (September: 5,5%) und Dienstleistungen um 4,4% (4,3%).
In den nächsten Monaten könnte die Inflationsrate noch weiter steigen. So prognostiziert die Commerzbank, dass zum Jahresende die 11-Prozent-Marke geknackt werden könnte. Als besonders besorgniserregend gilt, dass auch der unterliegende Preisdruck zunimmt. Die Kernrate ohne Energie und Lebensmittel legte im Oktober von 4,8% auf 5,0% zu. Das ist ebenfalls deutlich oberhalb des 2-Prozent-Inflationsziels. Selbst wenn die Inflation 2023 merklich zurückgehen sollte, spricht der unterliegende Preisdruck dagegen, dass die Teuerung rasch wieder in Richtung 2% sinkt. Damit steigt das Risiko, dass sich höhere Inflationsraten verfestigen – insbesondere über eine Lohn-Preis-Spirale.
Das erhöht den Druck auf die EZB. „Die Arbeit der EZB wird noch lange nicht beendet sein“, kommentierte Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der VP Bank, am Montag. Mit der neuerlichen negativen Inflationsüberraschung nimmt aus Sicht auch vieler anderer Beobachter die Wahrscheinlichkeit zu, dass die EZB Mitte Dezember ihre Leitzinsen erneut um 75 Basispunkte erhöht.
Vergangenen Donnerstag hatte die EZB ihre Leitzinsen zum zweiten Mal in Folge um 75 Punkte angehoben – etwas, was es vor September überhaupt noch nie gegeben hatte. Seit Juli hat sie ihre Leitzinsen damit um insgesamt 200 Basispunkte erhöht – so aggressiv wie nie zuvor. Für die Zukunft hatte sie weitere Zinsschritte avisiert, sich aber zugleich etwas vorsichtiger geäußert. Hintergrund ist das zunehmende Rezessionsrisiko (siehe Text oben auf dieser Seite).
Das nährt auch die Debatte, ob es die EZB mit ihren Zinserhöhungen übertreibt. „Zwar erhöht sich das Risiko, dass die EZB immer mehr selbst zum Konjunkturrisiko wird“, sagte am Montag Fritzi Köhler-Geib, Chefvolkswirtin der KfW. „Mit Blick auf den starken Anstieg der Kerninflationsrate ist dieses konsequente Vorgehen gegen die Inflation aber unerlässlich.“
Im EZB-Rat wird bereits heftig über das weitere Vorgehen gerungen (vgl. BZ vom 29. Oktober). Der niederländische Zentralbankchef Klaas Knot plädierte am Sonntag dafür, die Zinsen im Dezember erneut um 50 oder 75 Basispunkte anzuheben. „Wir sind noch nicht einmal in der Halbzeit“, sagte er. Dagegen forderte Italiens Notenbankchef Ignazio Visco am Montag, dass die EZB wegen der hohen wirtschaftlichen Risiken graduell vorgehen müsse.