Euro-Wirtschaft vor harten Zeiten
ba Frankfurt
Die Wirtschaft im Euroraum verliert zunehmend an Dynamik. Jüngster Beleg ist die Stimmungseintrübung im Juni, wenn sie auch nicht so kräftig ausgefallen ist wie erwartet. Die monatliche Umfrage der EU-Kommission zeugt zudem von ungünstigeren Beschäftigungsaussichten sowie einem anhaltend hohen Preisdruck. Und auch die gestiegene Kreditnachfrage von Verbrauchern und Unternehmen im Mai spricht nicht für Wachstum, sondern ist vor dem Hintergrund der angekündigten Zinswende der Europäischen Zentralbank (EZB) zu sehen, die zu höheren Zinskosten führen wird.
Im Juni 2022 fiel der von der EU-Kommission erhobene Economic Sentiment Indicator (ESI) um 1,0 auf 104,0 Punkte. Ökonomen hatten zwar nach der leichten Stimmungsaufhellung im Mai mit einem Rückschritt gerechnet, allerdings einen Wert von 103,0 Zählern auf dem Zettel gehabt. Die Entwicklung der einzelnen Teilbereiche verlief dabei uneinheitlich: Gestiegene Auftragseingänge und Produktionserwartungen haben die Stimmung in der Industrie beflügelt. Die Dienstleister zeigten sicher wegen der besseren Geschäftsentwicklung in den vergangenen drei Monaten ebenfalls besserer Laune, wenn auch die Erwartungskomponente gesunken ist.
Das Wirtschaftsvertrauen in der Bauwirtschaft ist hingegen wegen Personal- und Materialmangels gesunken. Dass die Konsumenten unter der rekordhohen Inflation leiden, zeigt sich auch daran, dass das Verbrauchervertrauen weiter gefallen ist und mit −23,6 Punkten Kurs auf das im April 2020, also zur Hochzeit der Corona-Pandemie, erreichte Allzeittief von −24,5 Punkten nimmt. Und auch beim Unsicherheitsindikator (UEI), der insgesamt zulegte, zeigte sich der kräftigste Anstieg bei den Verbrauchern. Dementsprechend hat sich auch der ESI im Einzelhandel erneut eingetrübt.
Der Indikator der Beschäftigungserwartungen (EEI) ist um 1,7 auf 110,9 Punkte gesunken – die Entwicklung war dabei breit basiert. Die Verkaufspreiserwartungen bzw. Preiserwartungen der Verbraucher zeigten auch im Juni ein hohes Niveau, beim Einzelhandel wurde gar ein neues Allzeithoch erreicht.
Unter den großen Euro-Volkswirtschaften ging der ESI am stärksten in den Niederlanden (−3,6 Punkte) zurück, gefolgt von Spanien und Deutschland (jeweils −1,9). In Frankreich und Italien hat der ESI je 1,0 Zähler abgegeben.
Als starke Exportnation leidet insbesondere Deutschland unter diesen Schwungverlusten – und jenen wichtiger Handelspartner. So ist etwa die US-Wirtschaft im ersten Quartal etwas stärker geschrumpft als zunächst gemeldet und auch China schwächelt. Dies sind neben dem Ukraine-Krieg, der Pandemieentwicklung und den Sorgen vor der drohenden Gasknappheit Argumente für das DIW Berlin, der deutschen Wirtschaft einen trüben Start in den Sommer vorauszusagen. „Im Sommerhalbjahr dürfte das Bruttoinlandsprodukt kaum spürbar zulegen“, erklärte DIW-Konjunkturexperte Guido Baldi. Die DekaBank hat ihre Erwartungen ebenfalls zurückgeschraubt: „Die Perspektiven für die deutsche Konjunktur werden sich im Jahresverlauf weiter verfinstern“, erklärte Deka-Chefvolkswirt Ulrich Kater zur Wachstumsprognose von 1,6% für dieses Jahr. Zu Jahresbeginn hatte er noch 3,5% erwartet, zuletzt 2,1%. Als größtes Risiko bezeichnete er den Ausfall russischer Erdgaslieferungen – bei einem Embargo dürfte das BIP 2023 um 1,0% schrumpfen, ohne Embargo um 2,3% zulegen. Die Inflation in Deutschland und im Euroraum dürfte Kater zufolge hoch bleiben.
Das Wachstum der Geldmenge, das einen Fingerzeig auf mittel- bis langfristige Inflationsgefahren gibt, schwächte sich indes im Mai ab. Die breit gefasste Geldmenge M3 legte im Jahresvergleich 5,6% zu, so wenig wie seit Februar 2020 nicht mehr. Ökonomen hatten mit 5,8% nach der April-Rate von 6,1% gerechnet. Die enger gefasste Geldmenge M1 legte 7,8% zu nach 8,2% im April. Zugelegt hat auch die Kreditvergabe: An Firmen wurden 5,8% mehr Darlehen ausgereicht als vor Jahresfrist. Ökonomen hatten das kräftigste Plus seit mehr als einem Jahr nach +5,2% im April und +4,1% im März auch so erwartet. Die Steigerung der Kredite an Privathaushalte von 4,6% ist die kräftigste Zunahme seit Ende 2008.