IM INTERVIEW: CHRISTIAN KIRCHNER, HUMBOLDT UNIVERSITÄT

"Euroland wird kleiner"

Berliner Professor: Hollandes Politik beruht auf unrealistischen Annahmen

"Euroland wird kleiner"

Es kommt drauf an – diesen Satz, mit dem Juristen in der Regel ihre Antworten einleiten, hört man von Christian Kirchner nur selten. Der promovierte Jurist und Ökonom findet stets klare Aussagen. Am 31. Mai 2012 hat er seine Abschiedsvorlesung an der Humboldt-Universität zu Berlin gehalten, Thema: “Rechtswissenschaft zwischen Volks- und Betriebswirtschaftslehre”. Seit Beginn des Monats ist der Professor für Internationales Wirtschaftsrecht und Institutionenökonomik emeritiert. Künftig wird er am Wittenberg-Zentrum für globale Ethik in Berlin mitarbeiten. Im Gespräch mit der Börsen-Zeitung spricht sich Kirchner gegen mehr Kompetenzen für die europäische Ebene aus.- Herr Prof. Kirchner, die Forderungen nach direkten Finanzhilfen für Banken in Euroland durch den Euro-Rettungsfonds EFSF wachsen. Was halten Sie davon?Nicht viel. Wenn die EFSF oder der künftige Dauerschirm ESM Banken direkt rekapitalisieren könnte, würde die nationalen Regierungen die Verantwortung für ihre Banken an die europäische Ebene abtreten. Damit wird Moral Hazard Tür und Tor geöffnet.- Die Europäische Zentralbank (EZB) schlägt deshalb eine europäische Anstalt zur Rekapitalisierung und Abwicklung von Banken vor. Dann hätte die europäische Ebene auch die Aufsicht über die Banken und das Moral-Hazard-Problem wäre doch gelöst, oder?Nein. Denn auch bei einem solchen System müsste letztlich Deutschland die Rechnung bezahlen. Die Vertreter der anderen Länder wären in den Gremien in der Mehrheit und würden über die Höhe der Rechnung bestimmen. Das ist dann genauso wie jetzt im EZB-Rat. Dort wird die Geldpolitik auch von Ländern dominiert, die historisch aus Traditionen mit einer weichen Währung kommen.- Zu Ende gedacht heißt das, es darf überhaupt keine Verlagerung von Kompetenzen auf die europäische Ebene mehr geben, weil dies am Ende immer Belastungen für Deutschland bedeutet.Das trifft im Kern zu. Unter den jetzigen Bedingungen sollten keine weiteren Kompetenzen auf die europäische Ebene verlagert werden.- Aber mit den bestehenden Institutionen wird die Eurozone wohl nicht überleben können.Jedenfalls nicht in ihrer heutigen Form. Der Euroraum wird künftig wohl aus weniger Mitgliedern bestehen. Die Länder mit großen finanziellen Problemen werden die Währungsunion sukzessive verlassen müssen, allen voran Griechenland. Der Euroraum wird kleiner.- Wie klein?Am Ende wird sich Euroland vermutlich auf Nordeuropa erstrecken, also etwa Deutschland, Österreich, die Benelux-Staaten, Estland, Finnland und Irland. Ob Frankreich dazugehören kann, hängt von der weiteren Politik des neuen Präsidenten François Hollande ab.- Inwiefern?Die Politik des französischen Präsidenten beruht auf unrealistischen Wachstumsprognosen. Diese werden spätestens im nächsten Frühjahr Makulatur sein. Das wird Frankreich zu einer Stabilitätspolitik zwingen, da eine Verschlechterung des Ratings für das Land katastrophale Folgen hätte.—-Das Interview führte Stephan Balling.