GastbeitragNadia Calviño, Europäische Investitionsbank

Europa in einer Welt im Wandel

EIB-Präsidentin Nadia Calviño nennt im Gastbeitrag der Börsen-Zeitung für 2025 drei Schwerpunkte: Integration der Kapitalmärkte, Reduzierung des Verwaltungsaufwands - und mehr Geld für die kollektive Sicherheit.

Europa in einer Welt im Wandel

GASTBEITRAG: Nadia Calviño

Europa in einer Welt im Wandel

Die Präsidentin der EU-Investitionsbank nennt für das nächste Jahr drei Schwerpunkte: Die Integration der Kapitalmärkte durch einen Rechtsrahmen sowie durch Anreize und Instrumente, die Kapital in produktive Investitionen lenken. Zudem die Reduzierung des Verwaltungsaufwands und die Vereinfachung der Arbeitsweise der EU. Und schließlich mehr Geld für die kollektive Sicherheit.

Wenn es ein Wort gibt, das 2024 auf den Punkt bringt, dann ist es Wandel. Fundamentaler Wandel in der Politik etwa: Zwei Milliarden Menschen weltweit waren zu Wahlen aufgerufen, und wir erleben tektonische Verschiebungen innerhalb der Weltordnung, die nach dem Zweiten Weltkrieg acht Jahrzehnte geprägt hat. Handelsauseinandersetzungen, Konflikte und Krieg sind die Folge dieser Verschiebungen.

Auch die Wirtschaft ist im Wandel. Die Energierevolution ist in vollem Gange, und der breite Einsatz von Künstlicher Intelligenz verändert unsere Arbeit und unser Leben. Der Klimawandel verursacht immer öfter extreme Wetterereignisse mit hohen Kosten. Gleichzeitig tritt die grüne Transformation in eine neue Phase ein – wirtschaftlich rentabler und mit bahnbrechenden Technologien.

Viele dieser Veränderungen verunsichern uns und stellen Dinge infrage, die wir für selbstverständlich hielten. Wir Europäer müssen uns mit Blick auf 2025 an diesen Wandel anpassen. Wir müssen reformieren und vereinfachen, was nicht mehr zweckmäßig ist. Wir müssen Bürokratie abbauen, wir müssen Menschen und Unternehmen unterstützen und mitnehmen, und wir müssen gemeinsam mit Partnern Lösungen finden.

Ins Gespräch kommen

Damit habe ich bereits 2024 angefangen. Als ich im Januar meine Aufgabe an der Spitze der Europäischen Investitionsbank-Gruppe antrat – der Bank der Europäischen Union und eines der größten und stärksten multilateralen Finanzinstitute der Welt – tat ich dies mit einem klaren Ziel für mein erstes Jahr: zuhören und ins Gespräch kommen.

Ich habe alle Hauptstädte der EU-Mitgliedstaaten besucht, um mit Finanzministerinnen und Finanzministern und Staats- und Regierungschefs über Europas Kernprioritäten zu sprechen. Und ich wollte sehen, wie unsere Teams vor Ort das Potenzial an Ideen ausschöpfen und aus Innovationen konkrete Projekte machen, um die Produktivität und die Widerstandsfähigkeit unserer Volkswirtschaften und Gemeinschaften zu steigern.

Feuerwehrleute in Athen haben mir erzählt, wie sie mit von der EIB finanzierten Drohnen Waldbrände löschen können, bevor diese außer Kontrolle geraten. Im Austausch mit kommunalen Wohnungsgesellschaften in Berlin und Wien ging es um die Finanzierung von bezahlbaren und energieeffizienten Wohnungen in den kommenden Jahren. In Thüringen und im Burgenland unterstützen wir Windparks und Solarfarmen sowie den Ausbau der Stromnetze. Und Europäische Innovatoren haben mir erklärt, wie sie in Deutschland mit Venture-Debt-Finanzierungen der EIB tele-fahrende Autos auf die Straße bringen, und wie sie bahnbrechende Technologien entwickeln, um in Deutschland und Österreich klimafreundliche Mietshäuser schneller und billiger bauen zu können.

Chancen auf Erfolg

Die vielfältigen Projekte lassen mich auf die Zukunft Europas vertrauen und in unsere Fähigkeit, Herausforderungen entschlossen und im Ziel geeint zu bewältigen. Mehr denn je bin ich auch überzeugt: Wir müssen dafür sorgen, dass die Chancen auf Erfolg und Wohlstand genauso gleich verteilt sind wie die Talente auf unserem Kontinent.

Diesen Monat nimmt eine neue Europäische Kommission ihre Arbeit auf. Sie wird sich dabei auf die jüngsten Berichte angesehener europäischer Vordenker wie Mario Draghi und Enrico Letta stützen. Die EIB-Gruppe wird eng mit der EU-Kommission zusammenarbeiten und ihre Investitionen auf acht Schwerpunkte konzentrieren, die von unseren Anteilseignern, den 27 EU-Ländern, gebilligt wurden.

Bei meinen Besuchen in den EU-Hauptstädten haben meine Gesprächspartnerinnen und -partner die EIB-Gruppe aufgefordert, mehr von dem zu tun, was wir am besten können: direkt Investitionen anschieben und privates Kapital mobilisieren. Sie wollen, dass wir als Klimabank Kurs halten und dass wir mehr in Innovationen und Technologien investieren, damit wir wettbewerbsfähig bleiben. Aber auch in den Zusammenhalt in Europa, bezahlbaren Wohnraum, Landwirtschaft und den Wassersektor. Und wir sollen Europas Sicherheits- und Verteidigungsindustrie unterstützen. All das ist auf dem Weg, und für 2025 stehen drei Dinge obenan:

Drei Akzente für 2025

Erstens müssen wir die Fragmentierung überwinden. Es ist an der Zeit, dass wir unsere Kapitalmärkte vollständig integrieren, und Anreize, Instrumente und einen klaren Rahmen schaffen, um Europas Kapital in produktive Investitionen zu lenken. Wir müssen in der EU entstehende Unternehmen, Ideen und Technologien fördern, damit sie in Europa wachsen und bleiben.

Zweitens müssen wir die Arbeitsweise der EU vereinfachen und den Verwaltungsaufwand verringern. Weil er Investitionen und Projekte bremst, die das Leben von Menschen verbessern und unsere Gemeinschaften stärken.

Und drittens müssen wir mehr Geld in unsere kollektive Sicherheit und Resilienz stecken und die Produktivität und das Wachstum in Europa stärker fördern.

Prioritäten der EU-Kommission

Diese drei Schwerpunkte spiegeln sich auch in den Prioritäten der neuen Kommission, und sie haben den Rückhalt der EU-Staaten. Sie werden der Kompass sein, an dem sich die EIB-Gruppe orientiert. Denn wenn die Finanz- und Regulierungsbehörden zusammenarbeiten und mit uns abgestimmte Finanzierungsinstrumente schaffen, kann Europa aus seiner Vielfalt eine Einheit schmieden.

Europa steht am Scheideweg. Was wir jetzt entscheiden, bestimmt darüber, wie wir in der neuen Weltordnung mitreden. Wir haben gute Gründe, zuversichtlich zu sein: Demokratien sind robust, wenn Gesellschaften den eigenen Stärken vertrauen. Extreme dagegen leben von Verzweiflung und Spaltung.

Wie stark der Gegenwind auch sein mag, es gibt wenig Grund, daran zu zweifeln: Die EU ist entschlossen, eine sicherere, bessere und nachhaltigere Zukunft für die Menschen in Europa zu schaffen. Die EIB-Gruppe wird dabei eine strategische Rolle spielen. Sie wird weiter standhaft für eine bessere Welt kämpfen und mehr und bessere Chancen für künftige Generationen schaffen.