Europawahl 2024Wahlergebnisse

Europas Konservative verteidigen ihre Spitzenposition

Die europäischen Konservativen verfügen gemeinsam mit Sozialdemokraten und Liberalen über eine Mehrheit der Stimmen im EU-Parlament. Doch die Fraktionsdisziplin ist nicht so ausgeprägt wie in nationalen Parlamenten.

Europas Konservative verteidigen ihre Spitzenposition

Europas Konservative verteidigen ihre Spitzenposition

Volkspartei baut Position sogar leicht aus – Sozialdemokraten recht stabil – Liberale und Grüne verlieren – Verschiebung der Gewichte Richtung Rechtsaußen

Die europäischen Konservativen haben ihre Position als stärkste politische Kraft im EU-Parlament gefestigt. Gemeinsam mit Sozialdemokraten und Liberalen verfügen sie über eine Mehrheit der Stimmen. Allerdings ist im EU-Parlament die Fraktionsdisziplin nicht so ausgeprägt wie in nationalen Parlamenten.

fed Frankfurt

Die Europäische Volkspartei (EVP), in der konservative und christdemokratische Parteien wie unter anderem die CDU und die CSU, der spanische Partido Popular, die österreichische ÖVP oder die griechische Nea Dimokratia zusammengeschlossen sind, wird auch künftig im Europäischen Parlament die mit Abstand größte Parteienfamilie sein. Nach vorläufigen Ergebnissen, die das EU-Parlament in der Nacht zum Montag veröffentlichte, können die Konservativen mit 186 der 720 Sitze rechnen, also mit mehr als einem Viertel der Sitze. Damit haben sie ihre Führungsposition sogar noch leicht ausgebaut. Rang 2 bestätigte derweil die Fraktion der Socialists & Democrats (S&D), also der sozialdemokratischen Parteien. Mit 135 Sitzen liegen sie nahe dem Ergebnis von 2019.

Kräftige Einbußen von jeweils rund einem Fünftel der Sitze müssen die Liberalen (Renew) und die Grünen hinnehmen. Die Liberalen haben den vorläufigen Ergebnissen zufolge 79 Sitze errungen, die Grünen 53. Zugewinne erzielt haben demgegenüber die Rechtskonservativen (Europäische Konservative und Reformer), eine Parteiengruppe, der unter anderem die polnische PiS und die Brüder Italiens von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni angehören. Sie vereinen künftig voraussichtlich 73 Sitze auf sich.

Die rechtsextreme Fraktion (Identität und Demokratie), zu der beispielsweise der Rassemblement National, die österreichische FPÖ, die niederländische Partij voor de Vrijheid und die italienische Lega zählen, steigerte die Zahl der Sitze um 9 auf 58. Zudem gibt es im EU-Parlament 100 Sitze, die auf Fraktionslose und Sonstige entfallen, darunter die aus der ID-Fraktion herausgeworfene AfD und die bereits vor zwei Jahren aus der Europäische-Volkspartei-Gruppe ausgeschiedene ungarische Fidesz. Insgesamt verschieben sich die Gewichte im EU-Parlament also nach rechts. Die Fraktion „Die Linke“ erreichte 36 Sitze, in etwa so viele wie vor fünf Jahren.

Von der Leyen sucht Mehrheit

Die spannende Frage ist nun, ob es EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gelingt, Sozialdemokraten und Liberalen ausreichend bei politischen Inhalten entgegenzukommen, um deren Unterstützung für ihre Wiederwahl zu bekommen, gleichzeitig aber die eigene Parteienfamilie geschlossen hinter sich zu halten. Rein rechnerisch würden die Stimmen der drei Parteifamilien reichen, um sie erneut zur EU-Kommissionschefin zu wählen. Denn Christdemokraten, Sozialdemokraten und Liberale bringen es nach vorläufigem Ergebnis addiert auf genau 400 Sitze. Damit liegt das Trio deutlich über der Marke von 361, die für die Parlamentsmehrheit notwendig ist.

Gemeinhin muss aber einkalkuliert werden, dass ein Teil der Abgeordneten nicht dem Fraktionsvotum folgt – erfahrungsgemäß mindestens 10%. Deshalb könnte es sein, dass sich von der Leyen auch um die Unterstützung der Grünen bemüht, etwa durch Zusicherungen, was den Green Deal angeht. Der grüne Spitzenkandidat Bas Eickhout erklärte am Sonntagabend, seine Parteienfamilie stehe bereit, Verantwortung zu übernehmen. Diese Zusage wurde von grünen Politikern am Montag bekräftigt. „Wir sind zu Verhandlungen zur Bildung einer neuen EU-Kommission bereit“, wurde die Grünen-Spitzenkandidatin Terry Reintke in Berlin von Agenturen zitiert. „Wir wollen mitregieren.“

Sozialdemokraten mahnen

Von der Leyen hatte vor der Wahl nicht ausgeschlossen, sich auch mit den Stimmen von Melonis Fratelli dItalia wählen zu lassen. Seither haben Vertreter vor allem der Sozialdemokraten erklärt, dass die Deutsche in diesem Fall nicht mehr mit den Stimmen der S&D rechnen dürfte. Diese Mahnung wurde am Montag von der deutschen Spitzenkandidatin der SPD für die Europawahl, Katharina Barley, untermauert.

Von der Leyen hatte am Sonntagabend gesagt, sie wolle eine breite Mehrheit der Mitte für ein starkes Europa aufbauen. Tags darauf konkretisierte sie, wie sie in den kommenden Wochen vorgehen werde. Die ehemalige Bundesministerin kündigte nach der CDU-Präsidiumssitzung am Montag in Berlin an, zunächst mit den Fraktionen der Sozialdemokraten und der Liberalen reden zu wollen. Sie machte darüber keine Aussagen, ob sie danach auch mit den Grünen sprechen oder sich mit Vertretern der rechtskonservativen Brüder Italiens austauschen werde.

Die italienische Ministerpräsidentin Meloni ließ offen, ob und inwieweit ihre Fratelli dItalia (Brüder Italiens) von der Leyen für eine zweite Amtszeit als Kommissionschefin unterstützen werde. Eine Entscheidung dazu sei noch zu früh, sagt sie nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters dem Radiosender 102,5 RTL. Melonis rechtspopulistische Partei ist mit knapp 30% der Stimmen bei der Europawahl in Italien stärkste Kraft geworden.

Scholz drückt aufs Tempo

Neben einer Mehrheit im EU-Parlament benötigt die amtierende EU-Kommissionspräsidentin außerdem die Unterstützung im Rat, also dem Gremium der nationalen Regierungen. Hier waren zuletzt Spekulationen aufgekommen, dass der französische Präsident Emmanuel Macron Interesse haben könnte, einen Gegenkandidaten zu unterstützen. In Brüssel wird in diesem Zusammenhang immer wieder der Name des früheren Präsidenten der Europäischen Zentralbank, des Italieners Mario Draghi, herumgereicht. Allerdings könnte Macrons Ambition, sich in eine neue Kampfzone zu begeben, nach den Ereignissen vom Sonntag gesunken sein.

Bundeskanzler Olaf Scholz dringt derweil auf eine zügige Entscheidung. Er werbe dafür, „alle diese Herausforderungen in diesem Monat zu bewältigen“, antwortete er auf Fragen zu der Postenverteilung auf europäischer Ebene. Es gebe keinen Grund, sich dabei länger aufzuhalten.

EU-Gipfel im Juni

Noch in diesem Monat treffen Europas Staats- und Regierungschefs zu einem EU-Gipfel zusammen. Es gilt als ausgemacht, dass die Frage, wer EU-Kommissionschefin wird, dabei ebenso diskutiert wie die Besetzung der Spitzenpositionen im Rat – womöglich auch in ersten Gesprächen die Zuweisung wichtiger Rollen innerhalb der EU-Kommission wie etwa des Postens des EU-Wettbewerbskommissars. Zunächst verzichtete Scholz übrigens darauf, sich ausdrücklich auf eine Unterstützung von der Leyens für deren zweite Amtszeit festzulegen. Er bleibe bei der Position, „dass sich die Kommissionspräsidentschaft auf eine demokratische Mehrheit traditioneller demokratischer Parteien im Europäischen Parlament stützen muss“, sagte der SPD-Politiker.

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