EZB-Analyse

Europas Unternehmen verlieren dramatisch an Wettbewerbsfähigkeit

Die Produktivitätslücke zu den USA wird immer größer. Europäische Unternehmen verlieren mangels moderner digitaler Technologien rasant an Wettbewerbsfähigkeit, diagnostiziert die EZB in ihrem Bulletin.

Europas Unternehmen verlieren dramatisch an Wettbewerbsfähigkeit

Europas Unternehmen fallen immer weiter zurück

EZB-Ökonomen diagnostizieren dramatischen Produktivitätsrückstand zu den USA – Gravierende Folgen für den Export

lz Frankfurt

Während die US-Wirtschaft in den vergangenen Jahrzehnten alles darangesetzt hat, um die Digitalisierung voranzutreiben, Informations- und Kommunikationstechnologie in immer größerem Maßstab immer tiefer in ihre Produktionsprozesse zu integrieren, scheinen die europäischen Unternehmen das eher verschlafen zu haben. In einer Studie der Europäischen Zentralbank (EZB) für das aktuelle ökonomische Bulletin diagnostizieren die Ökonomen, dass die Eurowirtschaft bei der Produktivitätsentwicklung und damit auch in ihrer Wettbewerbsfähigkeit immer weiter hinter der US-amerikanischen zurückfällt.

Zwar ist ein Teil der Entwicklung nach Angaben der EZB auch den diversen Krisen zuzuschreiben, wie Covid und dem Krieg in der Ukraine mit dem einhergehenden dramatischen Energiepreisanstieg. Doch die „Produktivitätslücke“ sei bereits vorher größer geworden und habe sich seither stärker aufgeweitet: Zwischen 1995 und 2019 stieg die Arbeitsproduktivität pro Arbeitsstunde in den USA um etwa 50% oder 2,1% pro Jahr. Im Euroraum waren es aber nur 28% im ganzen Zeitraum respektive 1% pro Jahr. Und nimmt man die Entwicklung seit 2019 bis zum zweiten Quartal 2024 als Maßstab, stieg die Arbeitsproduktivität pro geleisteter Arbeitsstunde in den USA um 6,7% und im Euroraum nur um 0,9%. Fahrt haben die USA dabei vor allem ab Mitte 2022 aufgenommen, stellen die Ökonomen fest.

Sie führen diese Entwicklung vor allem auf die höhere Produktivität speziell des Informations- und Kommunikationssektors in den USA zurück und die demgegenüber vergleichsweise „geringere Innovationsfähigkeit der Unternehmen im Euroraum“. Das zeigt sich auch im Wachstum einzelner Sektoren: Zwischen 2019 und dem ersten Quartal 2024 steigerten in den USA die Bereiche Information und Kommunikation ihre Wertschöpfung um 27,2%, die freiberuflichen Dienstleistungen noch um 18,7%. Im Euroraum hingegen hätten diese Teilsektoren nur um 6,5 bzw. 5,0% zugelegt.

Auch in den Industriesektoren selbst ist die Produktivitätslücke dramatisch: In den USA legte die Arbeitsproduktivität um 8,8% zu, im Euroraum nur um 0,8%. Die USA hätten offenbar eine größere Fähigkeit, digitale Technologien frühzeitig einzubinden und die Produktionsprozesse stetig zu erneuern, mutmaßen die Ökonomen.

Einen Teil des diesbezüglichen Rückstands der Euro-Unternehmen kann der EZB zufolge zwar durch die geringere durchschnittliche Größe der Unternehmen erklärt werden. Zugleich diagnostizieren sie aber auch grundsätzlich einen Mangel an Investitionen. Letztere müssten durch politische Maßnahmen angekurbelt werden, was zur Steigerung der Totalen Faktorproduktivität (TFP) beitragen könnte.

Hohe Energiepreise

Auch die hohen Energiepreise machen den Unternehmen im Euroraum das Leben schwer und mindern ihre Wettbewerbsfähigkeit vor allem beim Export. Die Energiepreise in der 20-Länder-Gemeinschaft lägen weiterhin erheblich über denen in Hauptwettbewerbsregionen, schreibt die EZB. Es sei zu erwarten, dass sie im Vergleich mit den USA in den kommenden Jahren etwa doppelt so hoch blieben.

„Die Exporteure des Euroraums sind seit der Pandemie durch eine schwierige Zeit gegangen und haben im Welthandel an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt“, heißt es. Abnehmende Markanteile sprächen zwar nicht notwendigerweise für eine sinkende Wettbewerbsfähigkeit. Im Unterschied zu anderen Regionen habe sich aber seit der Pandemie für den Euroraum der Rückgang stärker beschleunigt.

Die Studie hebt zudem hervor, dass der Euroraum aufgrund seiner Abhängigkeit von Energieimporten anfällig bleibe für Veränderungen der weltweiten Marktbedingungen. Die jüngsten Krisen wie die Pandemie und der russische Einmarsch in die Ukraine hätten die Verwundbarkeit der Eurozone für Schocks aufgezeigt. Dazu kämen Auswirkungen der geopolitischen Fragmentierung, die auf die Nachfrage nach Exporten der Eurozone zurückschlagen könne. Zunehmende geopolitische Spannungen könnten zu neuen Zöllen und Handelsbeschränkungen führen, die den Welthandel belasten würden. Auch dies hätte erhebliche Folgen für den Exportsektor des Euroraums.