EZB beschließt erste Zinssenkung seit fast 5 Jahren
Die Europäische Zentralbank (EZB) verkündet den Beginn der Zinswende in der Eurozone. Die Notenbank beschloss am Donnerstag wie erwartet, dass die Leitzinsen um jeweils 25 Basispunkte sinken. Damit liegt der wichtige Einlagensatz ab der kommenden Woche bei 3,75%. Es ist die erste Zinssenkung der EZB seit September 2019. Damals senkte sie den Einlagensatz von minus 0,4% auf minus 0,5%, um die zu niedrige Inflation im Euroraum anzuheizen. „Auf Grundlage einer aktualisierten Beurteilung der Inflationsaussichten, der Dynamik der zugrunde liegenden Inflation und der Stärke der geldpolitischen Transmission ist es nun angemessen, den Grad der geldpolitischen Straffung zu reduzieren, nachdem die Leitzinsen neun Monate lang unverändert geblieben waren“, heißt es im Kommuniqué der Notenbank zum Zinsentscheid.
Die große Frage, die Finanzmarktteilnehmer und Notenbanker derzeit beschäftigt, ist, wie lange sich die EZB Zeit für eine zweite Zinssenkung lassen wird. Der französische Notenbankpräsident François Villeroy de Galhau warnte Ende Mai im Interview der Börsen-Zeitung davor, dass das Risiko einer zu restriktiven Geldpolitik inzwischen mindestens genauso hoch sei, wie die Gefahr einer zu lockeren. Daher solle sich die EZB nicht der Option einer weiteren Zinssenkung bereits im Juli verschließen. Das einflussreiche Ratsmitglied gilt grundsätzlich weder als Anhänger einer eher expansiven Geldpolitik („Tauben“), noch als Befürworter einer eher restriktiven Geldpolitik („Falken“).
Uneinigkeit im EZB-Rat
Auf der anderen Seite hatten mehrere Ratsmitglieder vor einer Zinssenkung im Juli gewarnt. „Ich möchte davor warnen, in zu schnellen Schritten voranzugehen. Denn es besteht die Gefahr, dass man die Zinsen zu schnell senken könnte“, sagte EZB-Direktorin Isabel Schnabel Ende Mai im Interview der ARD. Schnabel mahnte, dass sich einige Elemente der Teuerung als sehr hartnäckig erweisen – „vor allem bei der inländischen Inflation und da insbesondere bei den Dienstleistungen“. Während die EZB allgemein zufrieden auf den Disinflationsprozess blicke, sei der Weg zurück zur Preisstabilität holprig.
Auch innerhalb des Tauben-Lagers gab es vorsichtige Stimmen, was eine Juli-Zinssenkung betrifft, etwa vom spanischen Notenbankchef Pablo Hernández de Cos. Gleichzeitig betonten bezüglich der Summe an Zinssenkungen in 2024 auch ausgesprochene Falken, dass sie sich mehrere Lockerungen bis Dezember vorstellen können. Der österreichische Gouverneur Robert Holzmann brachte 2 bis 3 Zinssenkungen ins Spiel. Der niederländische Notenbankchef Klaas Knot sprach gar von 3 bis 4, die mit den März-Projektionen der EZB vereinbar wären. Nun gibt es neue Projektionen.
Höhere Prognose für Inflation
Mit Spannung haben Marktteilnehmer daher darauf gewartet, wie die Vorhersagen der Notenbank zu Inflation und Wirtschaftswachstum ausfallen. Diese hat die EZB am Donnerstag ebenfalls veröffentlicht. Die Ökonomen der EZB erwarten nun eine höhere Inflation von im Durchschnitt 2,5% für 2024 (bislang 2,3%), 2,2% für 2025 (bislang 2,0%) und 1,9% für 2026 (1,9%). Die Prognose für die Kernrate als Gradmesser für den zugrundeliegenden Preisdruck liegt jetzt bei 2,8% für 2024 und 2,2% für 2025 (zuvor 2,6 bzw. 2,1%).
Auf die konjunkturelle Entwicklung blickt die EZB wieder optimistischer. Sie hob die Prognose für das laufende Jahr von 0,6% auf 0,9% an. Der EZB scheint es damit zu gelingen, die Inflation von ihrem Hoch von 10,6% im Oktober 2022 auf den Zielwert von 2% zu senken, ohne dass die Eurozone in eine Rezession rutscht.
Inflationsprognosen variieren stark
Im Mai war die Inflation von 2,4% auf 2,6% gestiegen. Unter Ökonomen herrscht Uneinigkeit, ob die Inflation wie von der EZB prognostiziert 2025 nachhaltig auf den Zielwert sinkt – oder sich doch aufgrund des hohen Lohnwachstums erstmal zwischen 2 und 3% einpendeln wird. Andere Volkswirte halten es hingegen für wahrscheinlich, dass die Geldpolitik der EZB deutlich zu restriktiv ist. Die Inflation werde daher im kommenden Jahr niedriger als 2% ausfallen wird, lautet ihre Prognose. Die Unsicherheit beim mittelfristigen Inflationsausblick ist also hoch.
Dennoch hatten mehrere EZB-Ratsmitglieder jüngst die Bedeutung der EZB-Prognosen für den geldpolitischen Entscheidungsprozess betont. Möglicherweise könnte die Notenbank daher im September und im Dezember weitere Zinssenkungen beschließen. Insofern die Projektionen, die dann jeweils erscheinen, keine bösen Überraschungen parat halten.
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