EZB erwartet 5 Prozent Inflation
ms Frankfurt
Die Europäische Zentralbank (EZB) erwartet in diesem Jahr mehr als 5% Inflation und signalisiert vor diesem Hintergrund trotz des Ukraine-Kriegs einen schnelleren Ausstieg aus ihren billionenschweren Anleihekäufen – was dann auch die Tür für eine Zinserhöhung öffnen würde. Die Euro-Hüter avisierten am Donnerstag nach ihrer Sitzung ein Ende aller Nettoanleihekäufe im dritten Quartal, machten das aber abhängig von der Inflationsentwicklung. In Sachen Zeitpunkt für eine mögliche Zinserhöhung ließ sich EZB-Präsidentin Christine Lagarde nicht in die Karten schauen.
Die EZB-Sitzung war dieses Mal mit besonderer Spannung erwartet worden. Die Euro-Hüter hatten erst Anfang Februar nach langem Zögern einen besorgteren Ton zur rekordhohen Inflation angeschlagen und eine raschere Zinswende in Aussicht gestellt. Nach dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs hatten sich viele Notenbanker aber wieder vorsichtiger geäußert – was viele Beobachter hatte erwarten lassen, dass die EZB jetzt erst einmal abwartet.
Allerdings bedeutet der Krieg für die EZB ein Dilemma: Zwar drohen einerseits spürbare negative Folgen für die Euro-Wirtschaft, die gerade begonnen hatte sich von der Omikron-Coronawelle zu erholen. Andererseits dürfte die Eskalation die Inflation weiter befeuern. Im Februar war die Teuerungsrate bereits auf das Rekordniveau von 5,8% geklettert.
Die EZB-Volkswirte gehen in ihrem Basisszenario nun davon aus, dass die Inflation 2022 im Jahresdurchschnitt bei 5,1% liegen wird. Erst im Dezember hatten sie diese Projektion so deutlich wie nie von zuvor 1,7% auf 3,2% angehoben. Hinter der neuerlichen Revision stecken nun auch die durch den Krieg weiter rasant gestiegenen Energiepreise. Aber auch vor der militärischen Eskalation hatte die Inflation bereits mit unerwartet hohen Niveaus negativ überrascht. Eigentlich war zu Jahresbeginn wegen Basiseffekten mit einem spürbaren Rückgang gerechnet worden. Bei einer weiteren Eskalation des Kriegs könnte die Inflation sogar noch deutlich höher liegen, wie die EZB in alternativen Szenarien untersucht hat (siehe Grafik).
Vor dem Hintergrund kündigte der EZB-Rat am Donnerstag eine schnellere Drosselung der Anleihekäufe an und stellte erstmals ein mögliches Enddatum in den Raum. Demnach sollen die monatlichen Käufe im Zuge des Anleihekaufprogramms APP von 40 Mrd. Euro im April auf 30 Mrd. Euro im Mai und dann auf 20 Mrd. Euro im Juni heruntergefahren werden. Für das dritte Quartal nannte der EZB-Rat keine Volumina. Das sei abhängig von den Daten. Zugleich erklärte er aber, dass im dritten Quartal ganz Schluss sein könnte – unter einer Bedingung: dass sich die mittelfristigen Inflationsaussichten auch nach dem Ende der Anleihekäufe „nicht verschlechtern werden“. Aktuell sagen die EZB-Volkswirte für 2024 1,9% Inflation voraus. Die EZB strebt mittelfristig 2,0% an.
Noch Anfang Februar hatte der Rat signalisiert, dass das APP-Volumen im zweiten Quartal bei monatlich 40 Mrd. Euro und im dritten Quartal bei jeweils 30 Mrd. Euro liegen sollte. Ab Oktober waren dann 20 Mrd. Euro pro Monat angesetzt, ohne explizites Enddatum. Lagarde insistierte am Donnerstag darauf, dass die neuen Beschlüsse keine Beschleunigung der Normalisierung darstellten. Nach Einschätzung nahezu aller Beobachter bedeuten sie aber genau das. Das Corona-Notfallanleihekaufprogramm PEPP soll wie bereits zuvor beschlossen Ende März enden.
Mit Blick auf mögliche Zinserhöhungen änderte der EZB-Rat seinen Ausblick (Forward Guidance). Bislang hatte er stets betont, dass die Leitzinsen „kurz“ nach dem Ende der Anleihekäufe erhöht werden sollen. Jetzt soll das „einige Zeit“ nach Ende der Nettokäufe geschehen. Auch auf mehrfache Nachfrage ließ Lagarde offen, was das konkret bedeutet. Das könnte „eine Woche oder auch Monate“ bedeuten, sagte sie. Damit scheint auch eine Zinserhöhung noch im Jahr 2022 keineswegs vom Tisch zu sein. Der EZB-Leitzins liegt bei 0%, der Einlagenzins sogar bei –0,5%. Die US-Notenbank Fed dürfte nächsten Mittwoch wegen der hohen Inflation ihren Leitzins erstmals seit 2018 anheben (siehe nebenstehenden Text).
Lagarde räumte ein, dass bei der Sitzung verschiedene Ansichten geäußert worden seien, bevor ein Konsens gefunden wurde. Einige Währungshüter hätten nichts ändern wollen, andere ohne Bedingungen Änderungen vornehmen wollen. Letztlich habe sich der Rat auf ein Paket geeinigt, das der EZB „maximale Agilität und Flexibilität“ in Zeiten der Unsicherheit verleihe. Lagarde betonte, dass die EZB notfalls alles tun werde, um neben Preisstabilität auch Finanzstabilität zu wahren. Einige Beobachter spekulieren, dass die EZB neue Liquiditätshilfen für die Euro-Banken auflegen könnte.