EZB-Politik erreicht den Wahlkampf
ms Frankfurt
Die EZB-Geldpolitik droht immer mehr zum Thema im Bundestagswahlkampf zu werden. Der CDU-Wirtschaftsrat schloss sich gestern der Kritik des ehemaligen Verfassungsrichters Paul Kirchhof an, der die ultralockere Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) und insbesondere den Negativzins in einem Gutachten als verfassungswidrig einstuft. „Die EZB-Geldpolitik kommt einer schleichenden Enteignung der Bürger in den solideren Staaten gleich“, sagte Wolfgang Steiger, Generalsekretär des Wirtschaftsrates. Jüngst hatte Bayerns Finanzminister Albert Füracker (CSU) die EZB scharf attackiert und ein Ende der Nullzinspolitik gefordert. Zugleich erreicht die steigende Inflation zunehmend die politische Debatte.
Die beispiellos expansive Geldpolitik mit breiten Staatsanleihekäufen und einem negativen Einlagenzins ist in Deutschland seit langem heftig umstritten und auch immer wieder vor dem Bundesverfassungsgericht gelandet. Nachdem vergangenen November Christine Lagarde die EZB-Spitze von Mario Draghi übernommen hatte, hatte sich das Verhältnis zwischen der EZB und der deutschen Öffentlichkeit etwas entspannt. Nun nehmen die Differenzen aber wieder zu. Hintergrund ist nicht zuletzt, dass die EZB trotz der wirtschaftlichen Erholung nach der Coronakrise und trotz unerwartet stark steigender Inflation keinerlei Anstalten macht, absehbar von der ultralockeren Geldpolitik abzukehren. In Deutschland zeichnen sich im Jahresverlauf Inflationsraten von gut 4% ab. Das gilt in der Dimension als temporär, aber die Inflationssorgen der Deutschen nehmen wieder zu.
Im Streit zwischen Deutschland und der EZB unvergessen ist insbesondere der Disput Anfang 2016 zwischen Draghi und Wolfgang Schäuble (CDU), damals Bundesfinanzminister und heute Bundestagspräsident. Schäuble hatte der EZB da sogar eine Mitschuld am Erstarken populistischer Parteien wie der AfD gegeben. Als Draghi schließlich am Ende seiner Amtszeit im September 2019 eine weitere deutliche Lockerung der EZB-Geldpolitik auch gegen beispiellosen Widerstand im EZB-Rat durchsetzte, zeigte ihn die „Bild“-Zeitung sogar als Vampir „Graf Draghila“, der die Konten der deutschen Sparer „leer saugt“.
Bei den Folgen der EZB-Politik für die Sparer setzt nun auch die Kritik von Ex-Verfassungsrichter Kirchhof an. „Die Europäische Zentralbank betreibt mit ihrer hoheitlich gestützten Marktmacht eine Nullzinspolitik, die den Zins als Ertragsquelle versiegen lässt. Außerdem verringert der Negativzins das Eigentum der Sparer Jahr für Jahr in seiner Substanz. Das Geldeigentum hat für den Sparer jedoch nur den Nutzwert des Zinses und den Substanzwert der gesparten Geldsumme. Beide Eigentümerrechte werden verletzt“, argumentiert Kirchhof. Sein Urteil ist deshalb klar: Die Erhebung von Negativzinsen durch die EZB verstoße gegen deutsches Verfassungsrecht und gegen europäische Grundfreiheiten. Der Verband der Sparda-Banken, in dessen Auftrag Kirchhof das Gutachten erstellt hat, forderte am Montag „dringend eine Zinswende“.
Im Juni 2014 hatte die EZB als erste der wichtigsten Zentralbanken einen ihrer Leitzinsen, den Einlagensatz, unter null gesenkt. Aktuell liegt er bei −0,5%. 2019 war bereits der Hamburger Rechtsprofessor Kai-Oliver Knops in einem Gutachten zu dem Urteil gelangt, dass der Negativzins rechtswidrig sei.
Im Juni hatte jetzt Bayerns Finanzminister Füracker gegen die EZB-Politik gewettert. „Deutschland ist Sparerland. Die jahrelange Nullzinspolitik der EZB ist Gift für klassische Sparverträge“, sagte der CSU-Politiker der „Bild“: „In Kombination mit der nun steigenden Inflation wird die Enteignung für Sparer immer spürbarer.“ Es sei jetzt allerhöchste Zeit, die Nullzinspolitik zu beenden, so Füracker.
Kirchhofs Kritik geht aber noch weiter. Die EZB habe in den vergangenen Jahren zwar ihre zentrale Aufgabe, die Stabilität des Geldwertes zu sichern, durchaus erfolgreich gemeistert: „Doch jetzt überschreitet sie mit dem Nullzins und dem Negativzins ihren Auftrag zur Währungspolitik und betreibt Wirtschaftspolitik, um den überschuldeten Staaten billige Kredite und sogar finanzielle Anreize zur weiteren Verschuldung zu bieten. Ein solcher Akt jenseits der zugebilligten Kompetenz der EZB überschreitet die europarechtlichen Grenzen der Staatsverschuldung und widerspricht dem Verschuldungsverbot des Grundgesetzes.“
Auch der CDU-Wirtschaftsrat kritisiert, dass die EZB eine Ausgabenpolitik der Mitgliedsstaaten mit immer astronomischer anmutenden Summen anheize, der jeder Vorwand von Corona bis zu Klimarettung nur recht zu sein scheine. „Wer in der EZB, den Euro-Ländern oder auch der EU-Kommission bedenkt noch das Ende?“, so Steiner.