EZB ringt um neues Instrument
ms/wf Frankfurt/Berlin
Die Frage, wie stark die Europäische Zentralbank (EZB) gegen ein Auseinanderlaufen der Anleiherenditen verschiedener Euro-Staaten vorgehen sollte, sorgt für kontroverse öffentliche Diskussionen unter den Euro-Hütern. Zwar stellen sich alle Notenbanker hinter die vergangene Woche getroffene Selbstverpflichtung, „neuerlichen Fragmentierungsrisiken entgegenzuwirken“. Während einige Notenbanker aber vehement die Entschlossenheit der Notenbank betonen und teils sogar von der Notwendigkeit sprechen, die Märkte zu „disziplinieren“, mahnen andere eher zu Vorsicht und Zurückhaltung bei künftigen Marktinterventionen.
In den vergangenen Wochen waren die Renditeabstände – die sogenannten Spreads – zwischen den Staatsanleihen Deutschlands und denen südlicher Euro-Länder wie Italien stark auseinandergelaufen. Dies hatte Erinnerungen an die Euro-Schuldenkrise vor zehn Jahren geweckt. Die EZB hatte deshalb vergangenen Mittwoch sogar eine Krisensitzung einberufen. Sie kündigte dabei auch an, „ein neues Antifragmentierungsinstrument“ zu entwickeln. Details dazu gibt es bislang nicht, auch weil das Thema im EZB-Rat umstritten ist. Kritiker sehen ein neues Instrument auch im Widerspruch zur avisierten Zinswende.
Debatte über Grenzwerte
EZB-Präsidentin Christine Lagarde hatte Ende vergangener Woche den Euro-Finanzministern erklärt, dass das neue Antikriseninstrument der EZB zum Einsatz kommen solle, wenn sich die Anleihespreads über bestimmte Schwellenwerte hinaus ausweiteten oder wenn die Marktbewegungen eine bestimmte Geschwindigkeit überschritten. Lagarde gab nicht an, ob diese Grenzwerte veröffentlicht werden sollen.
Bei ihrer regelmäßigen Anhörung vor dem EU-Parlament am Montag untermauerte Lagarde die Entschlossenheit der EZB in diesem Punkt. „Jeder, der diese Entschlossenheit bezweifelt, macht einen großen Fehler“, sagte sie. Bei einer zu starken Fragmentierung könne die Geldpolitik der EZB nicht mehr ihre Wirkung entfalten. Dieser Kampf gehöre also zum Kern des EZB-Mandats. „Man muss das im Keim ersticken“, sagte Lagarde. „Die Entscheidung, die Arbeit an einem Antifragmentierungsinstrument zu beschleunigen, untermauert die Verpflichtung, die Inflation mittelfristig bei 2% zu stabilisieren“, sagte die Notenbankerin.
Vor Lagardes Auftritt hatten sich bereits die Notenbankchefs aus Portugal und Finnland ähnlich geäußert. Es gebe bei der EZB eine große Entschlossenheit und ein starkes Engagement, die Gefahr einer Fragmentierung anzugehen, sagte Portugals Zentralbankchef Mario Centeno am Montag auf einer Veranstaltung von CNN Portugal. Centeno sagte sogar, das neue Absicherungswerkzeug werde „für Disziplin am Markt sorgen, die nicht besteht, wenn die Spreads über die Fundamentaldaten hinaus zunehmen“. Kritiker argumentieren dagegen, dass steigende Renditen eher für eine Disziplinierung der Fiskalpolitik sorgten. Zudem gibt es Zweifel, wie entschieden werden soll, welches Spreadniveau fundamental gerechtfertigt ist.
Finnlands Zentralbankchef Olli Rehn wandte sich gegen Bedenken, dass die Unterstützung von Bonds aus Ländern, die mit hohen Schuldenlasten zu kämpfen haben, einer Finanzierung ihrer Regierungen gleichkommt. „Wir sind fest entschlossen, fiskalische Dominanz – und/oder finanzielle Dominanz – zu verhindern“, sagte er. Einige Kritiker sehen einen möglichen Verstoß gegen das Verbot der monetären Staatsfinanzierung im EU-Vertrag.
Etwas zurückhaltender äußerte sich am Montag Lettlands Notenbankchef Martins Kazaks. Er betonte zwar, dass die EZB gerüstet sei, ungerechtfertigten Bewegungen am Finanzmarkt entgegenzuwirken. Zugleich sei sie aber bereit, beim Ausstieg aus den negativen Zinsen über ein gewisses Ausmaß an Turbulenzen hinwegzusehen. „Ein gewisses Maß an Unsicherheit und Volatilität ist normal. Wir müssen diese Situation mit kühlem Kopf und ruhiger Hand durchstehen“, sagt Kazaks zu Bloomberg. Zu Reuters sagte er, dass die EZB keine konkreten Zinsniveaus für die Staatsanleihen anpeilen solle. „Bei der EZB zielen wir nicht auf spezifische Niveaus der Renditeabstände ab“, so Kazaks.
Bundesbankpräsident Joachim Nagel enttäuschte in Berlin die Hoffnung von Abgeordneten, mehr Klarheit über das neue Antifragmentierungsinstrument zu bekommen. Im geldpolitischen Dialog mit dem Bundestag machte er nach Angaben von Teilnehmern keine näheren Angaben zu den Plänen der EZB. Eine Fragmentierung sieht Nagel indessen aktuell nicht. Die Euroländer seien noch einigermaßen homogen, erklärte Nagel in der Sitzung.