EZB will Wachstumsbremse lösen
rec Frankfurt
Die Europäische Zentralbank (EZB) sieht im jüngsten Anstieg der Staatsanleiherenditen ein Risiko für den zaghaft anlaufenden Wirtschaftsaufschwung im Euroraum. Mit dieser Begründung untermauerte EZB-Chefin Christine Lagarde bei ihrem Auftritt vor dem Europaparlament den Beschluss des EZB-Rats, das Tempo der Anleihekäufe im zweiten Quartal deutlich zu erhöhen. „Wir sind überzeugt, dass 2021 das Jahr des Aufschwungs wird.“ Der Aufschwung werde aber erst in der zweiten Jahreshälfte Schwung aufnehmen. „Jeder Renditeanstieg, der als eine Art Bremse wirkt, würde dem zuwiderlaufen“, sagte Lagarde.
Der EZB-Rat hatte in der vorigen Woche beschlossen, die Käufe von Staats- unter Unternehmensanleihen im Rahmen des Notfallanleihekaufprogramms PEPP für die Dauer von drei Monaten „signifikant“ zu erhöhen. Zuvor hatten die Renditen im gesamten Euroraum, ausgehend von den USA, angezogen. Bei ihrem turnusmäßigen Auftritt vor dem Wirtschafts- und Währungsausschuss des EU-Parlaments am Jahrestag der PEPP-Auflage verdeutlichte Lagarde die Entschlossenheit mit Blick auf das Kauftempo, indem sie die Aussagekraft der im Wochenrhythmus veröffentlichten Anleihebestände relativierte: „Die Erhöhung der Geschwindigkeit unseres Programms wird sichtbar werden, wenn es über längere Zeitstrecken betrachtet wird.“
Die zweistündige Debatte prägte unter anderem das Thema Inflation. Anhaltende Renditeerhöhungen könnten es der EZB erschweren, den inflationsdämpfenden Einfluss der Pandemie zu bekämpfen, führte Lagarde aus. Einige Experten einschließlich der Bundesbank erwarten – zumindest in Deutschland – in der zweiten Jahreshälfte Inflationsraten um die 3%. Auf mehrmalige Nachfragen unterstrich Lagarde, der Anstieg der Verbraucherpreise werde vorübergehend sein. So sagte der CSU-Abgeordnete Markus Ferber mit Verweis auf Goethe: „Die Botschaft hör ich wohl. Allein, mir fehlt der Glaube.“ Er befürchte einen „Ketchupflaschen-Effekt“ bei der Inflation und verwies auf den überdurchschnittlich starken Anstieg der Geldmenge. Lagarde sagte mit Verweis auf die jüngst leicht angehobenen Projektionen der EZB, die Inflation werde sich längerfristig nicht entscheidend dem EZB-Ziel von knapp 2% nähern. Wiederholt betonte sie: „Wir sind nicht selbstzufrieden.“
Neben der zweimaligen Aufstockung von PEPP auf insgesamt 1,85 Bill. Euro verteidigte Lagarde auch Hilfen für kleinere Unternehmen mit eingeschränktem Zugang zum Kapitalmarkt. Insbesondere hätten die gezielten Refinanzierungsgeschäfte für Banken namens TLTRO die erwünschte Wirkung erzielt. Mit diesen Langfristtendern versorgt die EZB Banken de facto unbegrenzt mit Liquidität, solange diese ihre Kreditvergabe an Unternehmen aufrechterhalten. In der jüngsten TLTRO-III-Runde deckten sich Banken mit 330,5 Mrd. Euro ein, wie die EZB mitteilte. Die Summe liegt zwar deutlich unter dem Spitzenwert von mehr als 1 Bill. Euro, aber um ein Vielfaches höher als im Dezember (50,4 Mrd. Euro).
Lagarde nutzte ihren Auftritt darüber hinaus, um die EU-Spitzen und nationalen Regierungen in die Pflicht zu nehmen. Der 750 Mrd. Euro schwere Wiederaufbaufonds müsse „ohne Verzug kommen“, die nationalen Investitionspläne schnellstens abgesegnet werden, sagte Lagarde. Sie drang zudem auf ein behutsames Zurückfahren der Fiskalhilfen, um „Klippeneffekte“ zu verhindern.