Inflation

EZB-Zinsdebatte voll entbrannt

Geht die Europäische Zentralbank in die Vollen und erhöht den Leitzins in anderthalb Wochen gar um 75 Basispunkte? Während etliche Notenbanker auf entschlossenes Handeln dringen, mahnt EZB-Chefvolkswirt Lane.

EZB-Zinsdebatte voll entbrannt

rec Frankfurt

Vor dem Hintergrund der Notenbankerkonferenz in Jackson Hole ist die Diskussion über die zweite Zinserhöhung der Europäischen Zentralbank (EZB) voll entbrannt. Weniger als zwei Wochen vor dem nächsten Zinsentscheid sind vor allem Rufe nach einer mindestens ebenso kräftigen Zinserhöhung wie im Juli laut geworden. Mehrere hochrangige Euro-Notenbanker treten für 50 oder sogar 75 Basispunkte ein. Dagegen warnte EZB-Chefvolkswirt Philip Lane am Montag vor allzu großen Schritten.

Nachdem der EZB-Rat im Juli unerwartet auf einen Schlag den Negativzins im Euroraum abgeschafft hat, gilt eine zweite Zinserhöhung am 8. September als ausgemachte Sache. Unklar ist, wie stark diese ausfällt. Der EZB-Rat will von nun an Sitzung für Sitzung entscheiden, statt die Entwicklung der Leitzinsen frühzeitig zu avisieren. Eine wichtige Rolle wird die Inflationsrate im August spielen. Sie könnte in Euroland über 9% steigen. Schnellschätzungen für Deutschland und die Eurozone veröffentlichen die Statistikämter Dienstag und Mittwoch.

Über das Wochenende schürte eine Reihe von EZB-Granden Spekulationen über einen zweiten großen Zinsschritt. Für besondere Aufmerksamkeit sorgen einmal mehr Äußerungen von EZB-Direktorin Isabel Schnabel. Es sei „kraftvolles“ Handeln gefragt, sagte Schnabel. Wortgleich hatte sich zuvor US-Notenbankchef Jerome Powell geäußert. Die Fed hat zweimal nacheinander ihren Leitzins um 75 Basispunkte angehoben. Powell hat die Märkte auf eine Serie weiterer Zinserhöhungen eingestellt. Wie Powell stellte auch Schnabel keine konkrete Höhe in den Raum. Sie betonte lediglich, momentan gehe Entschlossenheit vor Vorsicht. Ihre Rede wurde weithin als Signal für kräftige Zinserhöhungen interpretiert.

Einen augenfälligen Kontrast dazu bietet EZB-Chefvolkswirt Philip Lane. Der Ire ist als Vertreter einer eher lockeren Geldpolitik bekannt. Bei einem Bankentreffen in Barcelona warnte Lane am Montag davor zu überziehen. Laut Redetext mahnte er ein „gleichmäßiges Tempo“ bei den Zinserhöhungen an, das „weder zu langsam noch zu schnell“ sei. Er argumentierte, dies bringe weniger Nachteile mit sich „als eine kleinere Anzahl größerer Zinserhöhungen“.

Mit Blick auf die EZB-Ratssitzung zeichnet sich somit eine schwierige Debatte ab. Zumal sich im Rahmen des jährlichen Zentralbanksymposiums von Jackson Hole weitere Notenbanker aus der Eurozone für eine entschiedene Gangart der EZB ausgesprochen haben. So plädiert Frankreichs Notenbankchef François Villeroy de Galhau „für einen weiteren signifikanten Schritt im September“. Die Stimme des Franzosen hat unter Beobachtern besonderes Gewicht, weil er häufig Entscheidungen im EZB-Rat vorzeichnet.

Die EZB solle vor Ende dieses Jahres das neutrale Zinsniveau erreichen, sagte Villeroy de Galhau. Gemeint ist ein Zinsbereich, der die Wirtschaft weder anschiebt noch bremst. Schätzungen von Euro-Hütern zufolge liegt dieser im Euroraum derzeit zwischen 1 und 2%. Andere siedeln den neutralen Zins höher an. Es gehe darum, mit entschlossenem Vorgehen in der jetzigen Phase zu verhindern, später zu „unnötig brutalen“ Zinserhöhungen gezwungen zu sein, sagte der Franzose.

Lettlands Notenbankchef Martin Kazaks machte sich im Interview mit Bloomberg für einen „resoluten“ Zinsschritt stark. Der niederländische Notenbankchef Klaas Knot sagte, er bevorzuge eine Zinserhöhung um 50 Basispunkte oder „vielleicht sogar“ um 75 Basispunkte. Österreichs Notenbankchef Robert Holzmann, wie Knot Vertreter einer traditionell eher straffen Geldpolitik, regte 75 Basispunkte an.

Auch Bundesbankchef Joachim Nagel war in Jackson Hole, hielt sich mit öffentlichen Äußerungen allerdings zurück. Es sei „ziemlich klar“, dass die Inflation „viel zu hoch“ sei und weitere Zinserhöhungen gefragt seien, sagte Nagel laut Bloomberg. Es sei zu früh, über einen Endpunkt der Zinserhöhungen zu spekulieren. EZB-Chefin Christine Lagarde blieb der Konferenz fern, was teils für Kritik sorgte. Dagegen verteidigte ING-Chefvolkswirt Carsten Brzeski ihr Fernbleiben im Interview der Börsen-Zeitung (vgl. BZ vom 27. August).

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