Autoindustrie

Flügellahmer Drache

Der chinesische Automarkt ist seit Jahren das Zugpferd der Automobilindustrie. Doch mit seiner rigorosen Corona-Politik hat sich der chinesische Drache nun selbst die Flügel gestutzt – und wird zum Problemfall.

Flügellahmer Drache

Bei allen Rückschlägen in den Coronajahren – Lieferkettenprobleme, Halbleiterengpässe oder geschlossene Handelshäuser – hat sich die deutsche Autoindustrie stets auf eine Konstante verlassen können: Chinas Automarkt rettet den Tag. Angesichts der neuerlichen Produktionskrise aufgrund des Kriegs in der Ukraine käme ein erneuter Schub aus dem Reich der Mitte gerade recht. Doch diesmal droht die Unterstützung aus Fernost auszubleiben. Der chinesische Drache wirkt flügellahm.

Im Reich der Mitte haben neue Corona-Lockdowns zahlreiche Werke verschiedener Autobauer in Zwangspause geschickt. Der US-Konzern Tesla, der gerade erst Rekordauslieferungen für das erste Quartal vermeldet hat, muss im Werk in Schanghai wohl mindestens zwei Wochen die Tore schließen. Auch BMW und Volkswagen sind vom neuerlichen Lockdown mit Produktionsunterbrechungen betroffen. US-Marktführer General Motors schloss derweil Mitarbeiter im Werk ein, damit diese trotz Lockdown weiter produzieren können.

Mindestens so sehr wie die Produktionsausfälle, mit denen sich die Hersteller angesichts zuletzt regelmäßig auftretenden Teilemangels fast schon arrangiert haben, dürfte indes die Absage der Automesse in Peking schmerzen. Deren Startschuss sollte am 21. April fallen und BMW eine Bühne für den neuen 7er bieten, der erstmals auch als rein batterieelektrische Variante erhältlich sein wird. Wettbewerber Mercedes-Benz hatte eine SUV-Variante des Elektro-Flaggschiffs EQS im Gepäck. Nun wird die Messe frühestens im Juni nachgeholt. Einen konkreten Termin gibt es indes nicht. Wahrscheinlich werden die Hersteller ihre neuen Modelle jenseits der Messe bewerben. Produktion und Absatz dürften in der für alle deutschen Hersteller wichtigsten Region dennoch stark in Mitleidenschaft gezogen werden.

Problematischer als die aktuelle Lage ist allerdings die mittelfristige Perspektive. Anders als Europa oder Nordamerika hat China bislang keine Strategie entwickelt, mit dem Coronavirus dauerhaft zu leben. Alle Bemühungen gehen noch immer dahin, das Virus zu eliminieren. Ein aussichtsloses Unterfangen. Die chinesische Regierung scheint Opfer ihres Anfangserfolgs. Nun traut sie sich nicht mehr, von der radikalen Eindämmungsstrategie Abstand zu nehmen. Doch so werden Lockdowns in China auch mittelfristig auf der Tagesordnung bleiben. Der Drache hat sich selbst die Flügel gestutzt. Für die Autoindustrie wird der einstige Vorzeigemarkt zum Problemfall.

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