Frankreichs Regionalwahlen als Vorrunde
Von Gesche Wüpper, Paris
In Frankreich fallen die Masken. Während die zweitgrößte Volkswirtschaft der Eurozone nach der Lockerung der Corona-Beschränkungen Fahrt aufnimmt und die Banque de France für 2021 inzwischen ein Wachstum von 6% erwartet, beginnen Politiker, sich für die Präsidentschaftswahlen im nächsten Frühjahr warmzulaufen. Die Regionalwahlen am 20. und 27. Juni gelten als Vorrunde, als wichtiger Stimmungstest dafür. Obwohl Beobachter mit einer niedrigen Wahlbeteiligung rechnen, wird der Ausgang des den deutschen Landtagswahlen vergleichbaren Urnengangs über das Schicksal möglicher Präsidentschaftskandidaten und von Mitgliedern der Regierung von Präsident Emmanuel Macron entscheiden.
Vor allem aber werden die Regionalwahlen zeigen, welchen Einfluss der rechtsextreme, früher als Front National bekannte Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen gewinnt. Ihm ist es bereits gelungen, die öffentliche Debatte mit dem Thema innere Sicherheit zu dominieren und damit das Terrain für den Präsidentschaftswahlkampf zu bereiten – obwohl das Thema Sicherheit eigentlich nicht in den Kompetenzbereich der Regionen fällt. Während alle Umfrageinstitute Le Pen bei den Präsidentschaftswahlen in der Stichwahl sehen, liegt ihre Partei inzwischen in sechs der 13 französischen Regionen, die Übersee-Gebiete nicht mitgerechnet, vorn. Ihr könnte es gelingen, auch dank der immer stärkeren Zersplitterung der Parteienlandschaft mindestens eine Region zu gewinnen, die Provence-Alpes-Côte d’Azur (Paca).
Republikaner schwächeln
Sollte der RN weitere Regionen gewinnen, könnte das die Wähler aufrütteln, alles dafür zu tun, einen Sieg Le Pens 2022 zu verhindern. Das zumindest hofft Macron. Doch ob die sogenannte „republikanische Front“, das Bündnis aller gemäßigten Parteien gegen die Kandidatin von rechts außen, tatsächlich hält, sollte er zusammen mit Le Pen in die Stichwahl gelangen, ist inzwischen fraglich. Dass es bröckelt, zeigt sich auch daran, dass in der Region Paca mit Thierry Mariani ein früheres Mitglied der konservativen Republikaner und ehemaliger Minister von Ex-Präsident Nicolas Sarkozy für den RN antritt.
Le Pen, die inzwischen nicht mehr für einen Austritt aus dem Euro plädiert, konnte zuletzt vor allem bei bürgerlich-konservativen und jungen Wählern punkten. Genau dieses Lager hat auch Präsident Macron im Visier. Seine relativ junge Regierungspartei ist jedoch regional nicht gut verankert und nur in Großstädten stark.
Ihr Fokus liegt nun darauf, Schadensbegrenzung zu betreiben. Macron schickt deshalb nicht weniger als 13 Regierungsmitglieder ins Rennen, darunter Innenminister Gérald Darmanin, die für Industrie zuständige delegierte Ministerin Agnès Pannier-Runacher und den für Rentenfragen verantwortlichen Staatssekretär Laurent Pietraszewski.
Frankreichs Präsident versuche mit ihrer Hilfe, die Spaltung der Konservativen voranzutreiben und sie im Hinblick auf die Präsidentschaftswahlen zu schwächen, heißt es in Paris. Denn die Regionalwahlen gelten als eine Art Vorauswahl möglicher Präsidentschaftskandidaten der Republikaner, darunter Valérie Pécresse, Laurent Wauquiez und Xavier Bertrand. Die Sozialisten wiederum spielen zwar auf nationaler Ebene seit der Niederlage 2017 so gut wie keine Rolle mehr, sind dafür aber auf lokaler Ebene noch immer gut verankert. Sie hoffen deshalb, die fünf von ihnen regierten Regionen verteidigen zu können.
Nach den Regionalwahlen dürfte Macron versuchen, sich mit einer neuen Regierung für 2022 in Stellung zu bringen. Ob er kandidiert, hat er jedoch noch offengelassen. Der Präsident, der gerade eine Tour de France absolviert, hat aber versprochen, im Sommer Entscheidungen für den Wiederaufschwung nach der Krise zu treffen, darunter einige schwierige.
So hat er eigentlich gelobt, weiter zu reformieren. Doch die Rentenreform, die wegen der Pandemie auf Eis gelegt wurde, stößt bei Bevölkerung und Gewerkschaften auf Ablehnung, auch wenn der Rechnungshof gerade mahnte, sie in Angriff zu nehmen. Jede noch so kleine Rentenreform ist in Frankreich ein heikles Thema, das Massenproteste und Streiks auslöst, wie sich zuletzt im Winter 2019/20 und davor 2010 und 1995 zeigte.
Macron dürfte im Juli Stellung beziehen, ob er die Rentenreform wieder anpackt oder nicht. So wie sie zuletzt geplant gewesen sei, könne die Rentenreform jedoch nicht wieder aufgenommen werden, hat er bereits erklärt.