Gekapert
Die Entscheidung der EU-Kommission, Investitionen in die Atom- oder Gaswirtschaft einen grünen Stempel zu verpassen, um ihnen bessere Finanzierungsoptionen zu geben, steht juristisch auf äußerst wackeligem Grund: Denn zum einen hat die Behörde hierfür einen Delegierten Rechtsakt genutzt, der eigentlich nur zur Regelung von technischen Details vorgesehen ist, aber beileibe nicht, um hochpolitische gesellschaftliche Auseinandersetzungen zu lösen – wie in diesem Fall etwa der Umgang mit der Atomenergie. Zum anderen scheinen die Atom- und Gaspläne an verschiedenen Stellen der zugrundeliegenden Taxonomie-Verordnung zu widersprechen.
Man könnte auch sagen: Die EU-Kommission hat das noch junge Klassifizierungssystem für nachhaltige Investments gekapert, um es als Instrument der Energiepolitik zu nutzen. Neues Ziel: Versorgungssicherheit. Der Delegierte Rechtsakt, mit dem die Behörde Atom und Gas als grün labelt, ist ein ausbalancierter politischer Kompromiss zwischen den EU-Ländern. Solche Kompromisse haben aber in einem System, das eigentlich ganz und gar auf objektiv nachprüfbare wissenschaftliche Kriterien setzt, nichts verloren. Die Taxonomie für umstrittene, interessengetriebene Entscheidungen zu öffnen, bedeutet, sie zum Spielball der Politik zu machen. Und damit wird sie unglaubwürdig. Dies ist auch der Grund, warum die Finanzwirtschaft selbst das grüne Label für Atom und Gas eher ablehnt. Ob Investoren oder Fondsanbieter – beim Thema Nachhaltigkeit sind klare Vorgaben gefragt.
Das EU-Parlament hat ein Veto jetzt doch relativ klar verpasst. Mehr als 70 Abgeordnete fehlten am Mittwoch, um die umstrittene Taxonomie-Entscheidung noch zu stoppen. Dies ist durchaus überraschend, ist doch in den vergangenen vier Monaten viel über die Gaswirtschaft und die europäischen Abhängigkeiten von Gasimporten diskutiert worden. Ist es da wirklich angebracht, jetzt über günstige Finanzierungsbedingungen für die Branche zu entscheiden?
Hinzu kommt: In den einzelnen nationalen Energiepolitiken können Atom- oder Gaskraftwerke im Übergang ja durchaus noch eine Rolle spielen. Doch hierfür muss es dann auch Finanzierungsoptionen jenseits von Nachhaltigkeitsfonds geben. Fehlende Taxonomie-Konformität ist ja nicht mit einem Investitionsverbot gleichzusetzen.
Es dürfte noch spannend werden, wie vor Gericht die Klagen entschieden werden. Es dürfte aber ebenso spannend werden, wie die Investoren künftig mit der Taxonomie umgehen.
(Börsen-Zeitung,