Geteiltes Echo auf Scholz-Vorstoß
Von Mark Schrörs, Frankfurt
Der Vorstoß von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) für eine konzertierte Aktion gegen die hohe Inflation stößt bei Top-Ökonomen auf ein geteiltes Echo. Das zeigt eine Umfrage der Börsen-Zeitung unter führenden Volkswirten und Wissenschaftlern. Viele begrüßen die Initiative zwar als einen Beitrag im Kampf gegen die hartnäckige Teuerung, dämpfen aber allzu große Erwartungen. Andere warnen dagegen sogar davor, dass damit wirtschaftspolitische Verantwortlichkeiten verwischt werden. Viele erinnern daran, dass die Hauptverantwortung für stabile Preise bei der Europäischen Zentralbank (EZB) liege. Diese müsse schneller aus ihrer ultralockeren Geldpolitik aussteigen.
Scholz hatte am Mittwoch gesagt, dass er jetzt Gewerkschaften und Arbeitgeber an einen Tisch bringen wolle, um zu beraten, wie mit der Preisentwicklung umgegangen werden soll. Die Inflation in Deutschland ist im Mai nach EU-Berechnung (HVPI) von zuvor 7,8% auf 8,7% gesprungen. In nationaler Rechnung (VPI) ging es von 7,4% auf 7,9% nach oben – der höchste Stand seit der Ölkrise im Winter 1973/1974. Die starken Preissteigerungen stellen immer mehr Menschen vor existenzielle Probleme. Deshalb wächst der Druck auf die Politik, für mehr Entlastung zu sorgen, und auf die EZB, die im Vergleich zu anderen Notenbanken bislang viel zaghafter agiert.
„Es ist eine gute Idee, wenn sich die Regierung mit den Sozialpartnern an einen Tisch setzt, um eine gemeinsame Einschätzung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und der Risiken zu erreichen“, sagt nun Sebastian Dullien, Wissenschaftlicher Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK). „Derzeit geht es darum, einerseits die Kaufkraft der Privathaushalte zu stabilisieren, damit es nicht zum Konsumeinbruch kommt, der die Wirtschaft in die Rezession treibt, auf der anderen Seite aber zu verhindern, dass die Inflation aus dem Ruder läuft.“
Eine positive Einschätzung gibt es auch von Michael Hüther, Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) Köln: „Es geht darum, eine Lohn-Preis-Spirale zu verhindern.“ Ein solches Hochschaukeln von Löhnen und Preisen gilt derzeit als größte Gefahr, weil das die Inflation verfestigen könnte. „Lohnpolitik hat auch eine Stabilisierungsverantwortung, das muss wieder deutlich werden“, so Hüther. Eine Garantie auf Erfolg gebe es aber nicht.
Lohnrunden im Fokus
„Ich erwarte, dass diese Verhandlungen recht starke Lohnerhöhungen befördern werden und Unternehmen, die von der Inflation profitieren, sich rechtfertigen müssen“, sagt Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). „Ich erwarte auch, dass die Bundesregierung eine deutlich expansivere Finanzpolitik wird umsetzen müssen, sowohl um Unternehmen bei der Transformation zu unterstützen als auch um Menschen gegen soziale Härten zu schützen.“ Auch IMK-Experte Dullien richtet den Blick auf die Fiskalpolitik: „Eine konzertierte Aktion kann nicht funktionieren, wenn der Staat nicht bereit ist, materiell beizutragen. Von daher bleibt abzuwarten, inwieweit eine konzertierte Aktion kompatibel ist mit dem Wiedereinhalten der Schuldenbremse schon 2023.“
Volker Wieland, Professor für Monetäre Ökonomie an der Goethe-Universität Frankfurt, begrüßt es zwar, „dass der Bundeskanzler die hohe Inflation auf dem Schirm hat“. Eine Koordination auf höchster Arbeitgeber- und Gewerkschaftsebene mit Regierungsvertretern hält er aber „nicht für sehr sinnvoll“. Wieland erinnert daran, dass Scholz „an den Tarifpartnern vorbei“ eine dauerhafte Erhöhung des Mindestlohns um 22% in diesem Jahr durchgesetzt habe. „Das ist deutlich mehr als der Inflationsausgleich und schafft verständlicherweise den Wunsch nach Anpassung bei denen, die mehr als den Mindestlohn verdienen, aber nun einen deutlichen geringeren Abstand dazu sehen.“ Generell sollten die Lohnverhandlungen „realistisch“ sein: „In bestimmten Bereichen sind Reallohnverluste unvermeidbar.“
„Das Konstrukt der konzertierten Aktion schadet mehr, als es hilft. Vor allem verwischt es wirtschaftspolitische Verantwortlichkeit“, sagt Stefan Kooths, Direktor des Forschungszentrums Konjunktur und Wachstum des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW Kiel). „Die Vorstellung, man müsse in korporatistisch-gesamtplanerischer Manier die Tarifpartner auf Stabilitätskurs halten, suggeriert, dass Inflation ihre Ursache in falschen Tarifabschlüssen habe. Das vertauscht Ursache und Wirkung.“
Ähnliche Bedenken hat auch die Wirtschaftsweise Veronika Grimm: „Die ,konzertierte Aktion‘ kann auch dafür sorgen, dass jeder die Verantwortung zum anderen schiebt. Das wäre eher bedenklich“, sagte sie. Denn wenn – zum Beispiel, weil die Märkte und die Verbraucher nicht an den Erfolg glauben – die Inflationserwartungen stiegen, werde es für die EZB noch schwieriger, die Inflation einzufangen, ohne eine Rezession auszulösen. „Der Versuch einer Koordination kann also wertvolle Zeit kosten. Eine zeitnahe Straffung der Geldpolitik ist unumgänglich, um die Inflation zu bekämpfen.“
„Für die längerfristigen Inflationsaussichten ist die EZB verantwortlich“, sagt auch Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank. „Die EZB muss ihre Leitzinsen viel schneller anheben, als es EZB-Präsidentin Christine Lagarde vor kurzem in Aussicht gestellt hat.“ Lagarde hat bis September zwei Zinserhöhungen um je 25 Basispunkte avisiert.