Getrübte Harmonie in Spanien
ths Madrid
Die Anhebung des Mindestlohns hat Sand in das Getriebe der zuletzt recht guten Zusammenarbeit zwischen der spanischen Regierung und den Tarifpartnern gestreut. In einer Sitzung in der Nacht zum Freitag beschlossen die Regierung und die Gewerkschaften den gesetzlichen Mindestlohn um 15 Euro auf monatlich 965 Euro bei den in Spanien üblichen 14 Monatsraten anzuheben.
Die Arbeitnehmervertreter wollten ursprünglich mehr. Der Dachverband der Arbeitgeber CEOE hatte sich jedoch gegen jegliche Änderung ausgesprochen mit Verweis auf die Auswirkungen der Coronakrise auf die Wirtschaft. Der Präsident der CEOE, Antonio Garamendi, warnte, dass dieser Schritt die Zukunft der Tarifverhandlungen gefährde. Auch die derzeit diskutierten großen Reformvorhaben, wie die des Arbeitsmarktes – eine Anforderung der Europäischen Kommission im Gegenzug für die Milliardenhilfen aus dem Aufbaufonds – stehen nun unter einem schlechten Stern.
Die Erhöhung des Mindestlohns hatte auch für Spannungen innerhalb der Koalitionsregierung der Sozialisten (PSOE) von Ministerpräsident Pedro Sánchez und dem Linksbündnis Unidas Podemos gesorgt. Im Koalitionsvertrag Anfang 2020 hatten sich beide Seiten verständigt, den Mindestlohn bis Ende der Legislaturperiode auf 60% des nationalen Durchschnittsverdienstes anzuheben, also 1049 Euro pro Monat. Doch die Pandemie verzögerte die Umsetzung. Arbeitsministerin Yolanda Díaz von Unidas Podemos hatte angesichts der konjunkturellen Erholung seit Monaten auf eine weitere Erhöhung gedrängt. Wirtschaftsministerin Nadia Calviño von den Sozialisten war jedoch dagegen, da es vielen Unternehmen weiterhin schlecht geht. Schließlich schritt Regierungschef Sánchez ein und kündigte an, dass man den Mindestlohn auch ohne Einigung mit den Tarifpartnern erhöhen werde. Die Regierung steht unter Druck, weil die zuletzt stark steigenden Strompreise ärmere Haushalte stark belasten. „Es ist nicht gerade gerecht, wenn wir denen, die es am meisten brauchen, die Gehälter einfrieren bei sinkender Kaufkraft“, sagte Díaz. Die Inflationsrate kletterte im August auf 3,3%.
Garamendi hält die jetzige Anhebung für verfrüht. „Zu einem anderen Zeitpunkt hätten wir einer Anhebung zugestimmt, aber der Mindestlohn ist in den vergangen drei Jahren bereits um 30% gestiegen. Wegen der Pandemie leben wir aber noch in einem schwierigen Moment“, erklärte er. Den Vorwürfen, dass die CEOE eine rote Linie gezogen habe, entgegnete Garamendi, dass man zuletzt elf Abkommen mit Regierung und Gewerkschaften erreicht habe. In der Tat hat der flüssige Austausch der Linksregierung mit den Wirtschaftsbossen viele überrascht. So einigte man sich auf Sondermaßnahmen für die Auswirkungen von Corona, wie eine Form von Kurzarbeit, und auch bei der wichtigen Rentenreform wurden erste Schritte einstimmig beschlossen. Bei der Arbeitsmarktreform liegen die Positionen jedoch noch weit auseinander.
Über die Vorteile der Erhöhung des Mindestlohns wird fleißig gestritten. Eine Studie des Nationalen Statistikamtes zeigte eine Verringerung der sozialen Ungleichheit. Die Notenbank rechnete dagegen vor, dass viele Arbeitsplätze vernichtet wurden. Der Gouverneur der Banco de España, Pablo Hernández de Cos, räumte ein, dass ein höherer Mindestlohn positive Auswirkungen auf die soziale Ungleichheit habe, er warnte aber vor „Nebeneffekten“.
Díaz, die neue starke Frau der Linken, machte den Arbeitgebern aber Zugeständnisse. Entgegen der Forderung der Gewerkschaften legte sie sich nicht schon auf Zusagen für weitere Erhöhungen fest. Auch die CEOE steht dem prinzipiell nicht entgegen. „Im Januar sind wir in einer anderen Situation, wenn die besonders stark betroffenen Wirtschaftszweige wieder langsam aufmachen“, sagte Garamendi.