Großaufträge bringen Mini-Plus
ba Frankfurt
Großaufträge und eine etwas kräftigere Nachfrage aus Ländern außerhalb des Euroraums haben der deutschen Industrie im Mai ein minimales Auftragsplus beschert. Für Ökonomen ist der Abwärtstrend bei den Bestellungen damit allerdings noch nicht gestoppt und sie halten an dem düsteren Konjunkturbild für die kommenden Monate fest.
Den vorläufigen Angaben des Statistischen Bundesamts (Destatis) zufolge sammelte das verarbeitende Gewerbe im Mai 0,1% mehr Aufträge ein als im Monat zuvor. Ökonomen hatten nach drei teils kräftigen Rückgängen infolge des russischen Angriffskriegs in der Ukraine ein erneutes Minus erwartet – und zwar um 0,6%. Allerdings fiel die Entwicklung im April nicht ganz so heftig aus wie zunächst gemeldet: Statt 2,7% weniger Aufträge im Monatsvergleich ging die Orderzahl um 1,8% zurück. Gegenüber dem Vorjahresmonat verzeichneten die Wiesbadener Statistiker für Mai ein Minus von 3,1%.
Dass das hauchdünne Plus allein den Großaufträgen zu verdanken war – ohne diese volatile Größe ergab sich ein Minus von 0,9% gegenüber April – „sind keine guten Vorzeichen“, mahnte Thomas Gitzel, Chefökonom der VP Bank. Wer auf der Suche nach Rezessionssignalen sei, werde mit den am Mittwoch veröffentlichten Daten fündig. Commerzbank-Volkswirt Ralph Solveen sieht angesichts der schwächelnden Weltwirtschaft und der sehr schwachen Auftragskomponenten des Einkaufsmanagerindex und des Ifo-Geschäftsklimas nur ein Innehalten beim Auftragsrückgang. Allerdings spiele dies für die Entwicklung der Produktion „nur eine untergeordnete Rolle“.
Denn die realen Umsätze, die eine hohe Korrelation mit der Produktion aufweisen, haben im Mai um 3,2% zugelegt nach dem Plus von revidiert 0,6 (zuvor: 0,5)% im April. Derzeit hänge die Produktion in erster Linie davon ab, wie viele Vorprodukte zur Verfügung stehen. Solveen zufolge „liegt die aktuelle Produktion mehr als 10% niedriger, als sie angesichts der aktuellen Auftragseingänge eigentlich sein müsste“. Da die meisten Unternehmen in den vergangenen knapp zwei Jahren einen Berg von unerledigten Aufträgen angesammelt hätten, könnte die Industrieproduktion im zweiten Quartal – und damit die deutsche Wirtschaft insgesamt – aber leicht zulegen. Destatis-Zahlen zufolge müssten Unternehmen theoretisch bei gleichbleibendem Umsatz ohne Neubestellungen 8,1 Monate lang produzieren, um die bereits vorhandenen Aufträge abzuarbeiten. Damit liegt die sogenannte Reichweite im April auf einem Rekordhoch seit Beginn der Zeitreihe im Jahr 2015. Die erhoffte Entspannung bei den Lieferketten verschiebt sich allerdings laut Ifo-Experte Klaus Wohlrabe immer weiter nach hinten: Im Juni klagten 74,1% der Firmen über Engpässe und Probleme bei der Beschaffung von Vorprodukten und Rohstoffen. Im Mai waren es 77,2%. Die Unternehmen erwarten, dass der Materialmangel noch mindestens zehn Monate anhält.
Auch das Bundeswirtschaftsministerium zeigte sich nur bedingt zuversichtlich: „Der Ausblick für die Industriekonjunktur in den nächsten Monaten bleibt angesichts der hohen Unsicherheit durch den Krieg und des drohenden Lieferstopps beim russischen Gas zurückhaltend.“ Für den Fall eines Gaslieferstopps warnen Ökonomen bereits, dass die hiesige Wirtschaft in eine Rezession rutschen könnte. Russland liefert bereits weniger Gas über die drei wichtigsten Pipelines nach Europa.
DIHK-Außenwirtschaftsexpertin Carolin Herweg mahnte, dass die Lieferkettenstörungen nicht nur der deutschen Wirtschaft, sondern der Weltkonjunktur insgesamt einen Dämpfer versetzten. „Das führt zu einer Zurückhaltung bei Bestellungen aus dem Inland – auch die Aufträge aus dem Ausland steigen nur leicht.“ Aus dem Ausland kamen 1,3% mehr Aufträge, wobei das Neugeschäft aus dem Euroraum um 2,4% schrumpfte. Aus den Ländern außerhalb der Eurozone gingen 3,7% mehr Orders ein. Das Neugeschäft im Inland ging um 1,5% zurück. Insbesondere die Hersteller von Investitionsgütern wie Maschinen, Anlagen und Fahrzeugen verzeichneten mehr Bestellungen (+3,3%), wohingegen Vorleistungsgüter (−3,2%) weniger gefragt waren. Im Rückgang von 4,5% bei den Konsumgütern zeigt sich bereits die Zurückhaltung der Verbraucher. Deren Kauflaune liegt aktuell auf einem Tiefpunkt.