Gaskrise

Habeck zweifelt an russischen Gas­lieferungen im Winter

In Berlin wächst die Überzeugung, dass man sich in diesem Winter nicht auf Gaslieferungen aus Russland verlassen kann. Zugleich warnt die deutsche Wirtschaft vor Betriebsstilllegungen wegen hoher Energiepreise. Die Bundesregierung gerät zusehends unter Druck.

Habeck zweifelt an russischen Gas­lieferungen im Winter

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zeigt sich zunehmend pessimistisch, was den Beitrag von Gazprom PJSC zur Versorgung in den kältesten Monaten des Jahres angeht. Gazprom hat die Gaslieferungen nach Europa über seine Hauptpipeline seit Mittwoch für drei Tage gestoppt, und damit die Erwartung verfestigt sich, dass die Ostsee-Pipeline als Druckmittel genutzt werden wird.

Am Samstag wird sich zeigen, ob das Gas nach der Wartungsarbeiten wieder zu fließen beginnt. Erste Netzdaten deuten darauf hin – allerdings muss dies noch bestätigt werden. Die Bundesregierung fürchtet, dass auf diese Arbeiten Mitte Oktober eine weitere Unterbrechung folgen wird, wie mit den Überlegungen Berlins vertraute Personen berichten.

„Womit ich rechne, ist, dass wir uns auf keinen Fall auf Russland verlassen können, oder auf Gazprom verlassen können. Der Rest ist reine Spekulation“, sagte Habeck am Mittwoch gegenüber Journalisten. „Wir sollten nicht darauf bauen, dass über den Winter Gas aus Nord Stream 1 kommt.“

Russische Energie als Waffe

Habeck und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) haben dem Kreml vorgeworfen, die Abhängigkeit Europas von russischer Energie als Waffe zu nutzen, um sich gegen die nach dem Einmarsch in die Ukraine verhängten Sanktionen zu revanchieren.

Während der nachfrageschwachen Sommermonate hat Europa seine Gasspeicher gefüllt und liegt nun etwa zwei Monate vor dem Zeitplan. Die Bundesregierung hat am Donnerstag zudem angekündigt, dass sie neben den vier bereits in Arbeit befindlichen Terminals ein weiteres schwimmendes Terminal für den Import von Flüssigerdgas mieten wird, um Lieferungen aus Russland zu ersetzen.

Schwimmende Terminals sind schneller und billiger zu installieren als landseitige Projekte. Deutschland will mindestens zwei solcher Anlagen noch in dieser Heizperiode in Betrieb nehmen, die anderen sind für den nächsten Winter geplant. Uniper SE und RWE AG werden sich an der Bereitstellung der ersten beiden Terminals beteiligen.

Deutschlands fünftes schwimmendes Terminal mit einer Kapazität von mindestens 5 Milliarden Kubikmetern pro Jahr wird in Wilhelmshaven stehen und soll im vierten Quartal 2023 in Betrieb genommen werden. Zusammen könnten die schwimmenden Terminals bis Ende 2023 rund ein Drittel des Gasbedarfs decken, so die Bundesregierung.

Nächste Wartung angekündigt

Die Erwartung eines erneuten Nord Stream-Lieferstopps im Oktober deckt sich mit Gazproms Ankündigung, dass die letzte funktionierende Gasturbine der Portowaja-Kompressorstation alle 1.000 Stunden einer Wartung unterzogen werden muss. Die 1.000 Stunden entsprechen etwa 42 Tagen. Wenn die Turbine am 3. September wieder ans Netz ginge und die anderen außer Betrieb bleiben, würde Nord Stream Mitte Oktober erneut aus dem Netz gehen. Gazprom wollte sich dazu nicht weiter äußern und verwies auf frühere Stellungnahmen.

Die Portowaja-Kompressorstation, der russische Startpunkt der Pipeline, benötigt fünf funktionierende Hauptturbinen, um die volle Transportkapazität zu erreichen, und eine weitere Turbine, die als Backup dient. Eine Turbine ist nach ihrer Wartung in Kanada derzeit in Deutschland gestrandet, vier weitere befinden sich noch in Russland und benötigen entweder größere Reparaturen in einer Anlage oder eine Wartung vor Ort.

Deutsche Wirtschaft wegen Gaspreise unter Druck

Die deutsche Wirtschaft gerät wegen der hohen Energiepreise nach Darstellung des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) zunehmend unter Druck. Nach einer DIHK-Erhebung sähen sich aktuell 16% der Industriebetriebe gezwungen, die Produktion aufgrund der hohen Energiepreise herunterzufahren oder einzuschränken, sagte der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Peter Adrian, am Donnerstag auf der Vollversammlung der Handelskammer Hamburg.

„Eine Energiekrise, wie wir sie derzeit erleben, hat es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland noch nicht gegeben“, sagte Adrian laut Redemanuskript. Die Bundesregierung habe es auf der Kabinettsklausur in Meseberg erneut versäumt, klare Antworten auf die Herausforderungen zu geben. „Die Maßnahmen der Bundesregierung sind an vielen Stellen zu langsam und zu zögerlich“, kritisierte er.

Je länger die Gaspreise so exorbitant hoch bleiben, desto größer dürfte der Verlust an Wertschöpfung in Deutschland sein, warnte Adrian. „Zu allem Unglück kommt hinzu, dass es bei den Strompreisen inzwischen eher noch schlimmer aussieht.“ Deshalb stünden in den nächsten Monaten viele Firmen vor ernsten Herausforderungen. „Und wenn ein Betrieb erst einmal geschlossen ist, dann wird es in diesem schwierigen Umfeld nur schwer möglich, ihn wieder zu öffnen. Das trifft im Übrigen nicht nur die Industrie, sondern auch Bäckereien oder Lebensmittelläden“, sagte der DIHK-Präsident laut den Angaben.

Ausweitung der Notfallzahlungen verlangt

Notwendig sei eine Verlängerung und Ausweitung der Notfallzahlungen, bekräftigte der DIHK. Die Energiezuschüsse müssten demnach bis zum Jahresende verlängert werden. Die Gasumlage sollte besser aus dem Bundeshaushalt bestritten werden, forderte Adrian weiter. Zudem sollte die Energiesteuer auf den europäischen Mindestsatz gesenkt werden. Schließlich sei mehr Tempo bei Genehmigungen erforderlich: „Wir müssen von der Standspur auf die Überholspur wechseln, wenn wir trotz der wirtschaftlichen Folgen des Angriffskriegs Russlands bis 2045 klimaneutral werden wollen.“

Der DIHK-Chef sprach sich zudem für eine „Neugestaltung der Globalisierung“ aus. Die Weiterentwicklung der internationalen Arbeitsteilung sei für alle eine Chance und für Unternehmen Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg und Erhalt der Arbeitsplätze in Deutschland. Gerade aktuell – in Zeiten von Pandemie und Krieg – ist es nach den Worten von Adrian für Unternehmen „essenziell, ihre Produktion über möglichst viele Länder zu verteilen, um das Risiko von Produktionsausfällen zu streuen“. Daher komme es gerade jetzt auf eine kluge EU-Handelspolitik an, die auf die Absicherung und Diversifizierung von wichtigen Handelsbeziehungen setzt und gleichzeitig souveräne EU-Interessen vertritt.

Verdi droht mit Protesten

Die Gewerkschaft Verdi droht der Bundesregierung inzwischen mit deutschlandweiten Protesten, falls die Bürger wegen der hohen Preise nicht ausreichend entlastet werden. „Um die finanziellen Härten durch die Energiepreis-Explosion auszugleichen, muss der Staat noch einmal 20 bis 30 Mrd. Euro in diesem Jahr zusätzlich in die Hand nehmen“, sagte Verdi-Chef Frank Werneke der „Augsburger Allgemeinen“ (Freitag). Verdi bereite sich mit anderen Gewerkschaften und Sozialverbänden auf die kommenden Wochen vor. „Dazu gehört auch, Demonstrationen im Laufe des Herbstes zu organisieren“, fügte er hinzu. „Die werden dann notwendig, wenn die Bundesregierung die Bürgerinnen und Bürger nicht ausreichend entlastet.“

Skeptisch zeigte er sich jedoch in Bezug auf sogenannte Montagsdemonstrationen. „Ich halte es für sehr problematisch, mit solchen Montags-Demos auf eine Protestform zu setzen, die von Querdenkern und Rechtsradikalen okkupiert wurde“, erklärte er. „Wenn notwendig, organisieren wir selbst Proteste – und laufen ganz bestimmt nicht einzelnen Parteien hinterher.“ Auch Linke und AfD haben angekündigt, Proteste zu organisieren.

Neben einer Direktzahlung von 500 Euro forderte der Gewerkschafter einen Energiepreis-Deckel für Gas und Strom. „Auch im nächsten Jahr muss der Staat über diese zusätzlichen 20 bis 30 Mrd. Euro hinaus weiteres Geld in die Hand nehmen, um Härten durch die Energiepreis-Explosion auszugleichen.“ Dazu solle die Bundesregierung auch im kommenden Jahr die Schuldenbremse aussetzen.