Geldpolitik

Hartnäckige deutsche Teuerung erhöht Druck auf EZB weiter

Der erneute Sprung der deutschen Teuerung auf mittlerweile 8,7% nach harmonisiertem Verbraucherpreisindex (HVPI) heizt die Straffungsdebatte in der EZB weiter an. Zugleich verschärft er die heimische Diskussion über staatliche Hilfen gegen den Kaufkraftverlust.

Hartnäckige deutsche Teuerung erhöht Druck auf EZB weiter

Die Inflationsrate in Deutschland wird im Mai 2022 gemessen an den harmonisierten europäischen Verbraucherpreisindex voraussichtlich bei 8,7% liegen. Nach nationaler Rechnung kratzt die Teuerung ebenfalls an der Acht-Prozent-Schwelle und beträgt 7,9%, wie das Statistische Bundesamt (Destatis) nach bisher vorliegenden Ergebnissen meldet. Ähnlich hoch war sie zuletzt im Winter 1973/1974, als infolge der ersten Ölkrise die Mineralölpreise ebenfalls stark gestiegen waren.

Ökonomen hatten insgesamt mit einer etwas niedrigeren Preissteigerung gerechnet. Da auch in anderen europäischen Ländern die Preise nach wie vor dramatisch zulegen, dürfte dies die Debatte in der Europäischen Zentralbank (EZB) weiter verschärfen, wie aggressiv die Geldpolitik im Euroraum gestrafft werden sollte.

In der Eurozone rechnen bis auf eine Ausnahme alle von Bloomberg befragten Volkswirte mit einer Beschleunigung der Teuerung im Mai, wobei die Medianerwartung 7,8% beträgt. Spanien hat bereits eine höhere Teuerung gemeldet, während Ökonomen mit einem Rückgang gerechnet hatten. EU-harmonisiert schlug im Mai ein Anstieg des Preisniveaus um 8,5% zu Buche, nach 8,3% im Vormonat. Am Dienstag werden die Inflationsdaten aus Frankreich erwartet.

Kaufkraftschwund beklagt

Die steigenden Verbraucherpreise schmälern die Kaufkraft der Arbeitnehmer in Deutschland zunehmend – die befürchtete Lohn-Preis-Spirale bleibt bislang aber aus. Die Reallöhne sanken im ersten Quartal um 1,8%, wie aus Daten des Statistischen Bundesamtes am Montag hervorgeht. Zwar betrug der nominale Lohnanstieg respektable 4% gegenüber dem Vorjahr, kann jedoch nicht mit der Inflation mithalten, die in den drei Monaten bis März bei 5,8% lag. Aktuell laufen Tarifverhandlungen etwa noch in der Eisen- und Stahlindustrie: Dort fordern Arbeitnehmer ein Anstieg von 8,2%, um die steigenden Lebenshaltungskosten auszugleichen.

Experten gehen davon aus, dass die Inflationsdruck vorerst sehr hoch bleiben wird. „Bei den von Lieferengpässen getroffenen Gütern und bei Nahrungsmitteln steckt wohl noch etwas Druck in der Pipeline, bevor die Lage sich ab dem Herbst entspannen dürfte”, sagte der Chefvolkswirt der Berenberg Bank, Holger Schmieding. „Der Tankrabatt und andere Eingriffe dürften aber dafür sorgen, dass die Inflationsrate in den kommenden Monaten in Deutschland nicht weiter steigt.”

Gewerkschaften machen Druck auf Politik

Das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) geht davon aus, dass die Reallohnverluste zumindest bis zum Jahresende anhalten. „Im kommenden Jahr ist eine Trendwende möglich”, sagte der wissenschaftliche Direktor des IMK, Sebastian Dullien, der Nachrichtenagentur Reuters. „Allerdings dürften auch dann nicht sofort alle Reallohnverluste aufgeholt werden, die sich aus der hohen Inflation 2022 ergeben.” Deshalb sei es wichtig, dass die Politik mit gezielten Entlastungspaketen helfe, die Kaufkraft der Privathaushalte zu stabilisieren. Die bisherigen Entlastungspakete dürften zwar viele Haushalte spürbar bei der Mehrbelastung durch teurere Energie für das laufende Jahr entlasten, aber einige Haushalte wie jene von Rentnerinnen und Rentnern und Studierenden blieben außen vor. „Außerdem deckt die Entlastung noch nicht die gestiegenen Nahrungsmittelpreise ab”, sagte Dullien. „Da die Reallöhne 2023 noch unter dem Niveau von 2021 liegen dürften, sind außerdem weitere staatliche Einmalzahlungen für das kommende Jahr notwendig.”

Hitzige Debatte in der EZB

Angesichts dieser Entwicklungen dürfte sich hinter den Kulissen der Austausch zwischen den EZB-Mitarbeitern in Frankfurt und in den Zentralbanken der Eurozone jetzt noch mehr intensivieren. Nächste Woche wird EZB-Präsidentin Christine Lagarde die neuen Konjunkturprognosen der Notenbank vorstellen und einen Ausblick auf die Straffungspläne für die Geldpolitik bis September geben.

Im EZB-Rat wird vehement darüber gestritten, wie schnell und wie weit die Zinsen angehoben werden sollen. Der Chef der niederländischen Zentralbank, Klaas Knot, wollte eine aggressive Zinserhöhung um einen halben Prozentpunkt, wie sie die US-Notenbank in diesem Monat vorgenommen hat, mit Verweis auf die Inflation nicht ausschließen.

„Diese neuen Zahlen sind extrem wichtig, um die Geschwindigkeit zu bestimmen, mit der Zinserhöhungen erfolgen müssen”, sagte Giorgio di Giorgio, Professor an der Luiss-Universität in Rom, im Bloomberg-Interview. „Es gibt ein echtes Sammelsurium von Faktoren, die zusammenkommen und das Bild verkomplizieren, von der Pandemie bis zu Lieferengpässen, dann der Krieg in der Ukraine, und jetzt Chinas Null-Covid-Politik und ihre Auswirkungen.” Zusammen mit der schlechten Stimmung bremsen die hohen Energiekosten die wirtschaftliche Erholung in der Eurozone. Dennoch stärkt der zunehmende Inflationsdruck die Entschlossenheit der EZB, die Zinsen anzuheben.

Das so genannte Maß für die Kerninflation der Region, welches volatile Elemente wie Nahrungsmittel und Energie ausklammert, dürfte mit 3,6% im Jahresvergleich ebenfalls einen neuen Rekord erreichen. Im Vergleich zum Vormonat indessen rechnen Ökonomen mit einer Inflation von 0,6%, was der Rate vom April entsprechen würde. 

EZB-Chefin Lagarde schwenkt um

„Selbst wenn die Angebotsschocks abklingen, ist es unwahrscheinlich, dass die disinflationäre Dynamik des vergangenen Jahrzehnts zurückkehrt”, sagte Lagarde letzte Woche in einem Blogbeitrag, in dem sie einen Fahrplan für die Geldpolitik der EZB vorstellte. Infolgedessen sei es angemessen, dass die Geldpolitik zu “normaleren” Einstellungen zurückkehrt.

Lagarde signalisierte für Juni ein Ende der Anleihekäufe, gefolgt von einer Anhebung der Zinsen um jeweils einen Viertelprozentpunkt im Juli und September. Damit würde die Zeit der Negativzinsen enden.

EZB-Chefvolkswirt Philip Lane bekräftigte dieses Szenario in einem am Montag veröffentlichten Kommentar, wonach zwei Erhöhungen dieser Größenordnung nach der Juni-Sitzung ein „Benchmark-Tempo” darstellten.

Bundesbankchef Nagel für drei Zinsschritte 2022

Im EZB-Rat drängen Knot, sein österreichischer Kollege Robert Holzmann und Lettlands Martins Kazaks darauf, größere Zinsschritte zumindest in Betracht zu ziehen. Bundesbankpräsident Joachim Nagel äußerte in einem am Freitag veröffentlichten Interview mit dem Spiegel den Wunsch nach mindestens drei Zinserhöhungen, um die EZB-Zinsen bis zum Jahresende über die Null-Marke zu bringen.

Sein französischer Kollege Francois Villeroy de Galhau bestand indessen gegenüber Bloomberg Television vergangene Woche darauf, dass eine Erhöhung um einen halben Punkt nicht dem Konsens innerhalb der Zentralbank entspreche. Er rechne immer noch mit einem Anstieg der Zinsen im nächsten Jahr auf ein als neutral geltendes Niveau, welches die Wirtschaft weder ankurbelt noch dämpft. Villeroy räumte ein, dass die Zinsen möglicherweise noch höher geschraubt werden müssten. 

Der frühere britische Notenbanker Charles Goodhart sieht die Mission der EZB durch den Umstand erschwert, dass der Inflationsdruck auf der Angebotsseite fußt. „Die Situation ist für die EZB sehr, sehr schwierig. Sie ist in vielerlei Hinsicht problematischer als für die Fed”, sagte er vergangene Woche auf einer Konferenz in Madrid. “Der Umgang mit einem Angebotsschock ist viel schwieriger als der Umgang mit einem Nachfrageschock.”

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