Arbeitsmarkt

Immer weniger offene Stellen gemeldet

Weniger Lohn für mehr Arbeit in Betrieben ohne Tarifbindung, dafür schließt sich insgesamt die Lohnlücke zwischen Top- und Geringverdienern – eine ebenso gemischte Bilanz des Jobmarktes 2023 wie der Ausblick von Frühbarometern auf die kommenden Monate.

Immer weniger offene Stellen gemeldet

Immer weniger offene Stellen gemeldet

Höherer Mindestlohn verringert Lohngefälle – Tarifbeschäftigte arbeiten weniger und verdienen mehr

ba Frankfurt

Die Lage auf dem deutschen Arbeitsmarkt wird etwas angespannter: Die Zahl der offenen Stellen ist im April erneut zurückgegangen, wie der BA-X, der Stellenindex der Bundesagentur für Arbeit (BA), zeigt. Ähnliches hatte bereits das Ifo-Beschäftigungsbarometer signalisiert. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) warnt mit Blick auf die rückläufige Zahl offener Stellen bereits davor, dass in diesem Jahr die Arbeitslosigkeit auf im Jahresschnitt knapp 2,8 Millionen steigen könnte. Dies wäre zwar der höchste Stand seit 2015, ist allerdings noch weit entfernt vom 2005 verzeichneten Rekordwert, als knapp 4,9 Millionen Menschen arbeitslos waren.

Der Blick auf Löhne und Gehälter hierzulande zeigt laut einer Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung indes, dass in Betrieben ohne Tarifvertrag nicht nur eine Woche länger pro Jahr gearbeitet werden muss, sondern den Beschäftigten zugleich ein volles Monatsgehalt fehlt. Die Erhöhung des Mindestlohns von 9,82 Euro auf 12 Euro die Stunde wiederum hat den Verdienstunterschied zwischen Gering- und Topverdienern verringert, wie das Statistische Bundesamt (Destatis) meldet.

BA-X sinkt erneut

Der BA-X ist im April um 2 auf 111 Punkte gesunken. Dabei ist in allen Wirtschaftszweigen – mit Ausnahme von Bergbau, Energie, Wasser und Entsorgung – die gemeldete Arbeitskräftenachfrage im Jahresvergleich gesunken, „und zwar zu einem großen Teil in zweistelliger prozentualer Höhe“, wie die BA mitteilte.

Besonders stark seien die Rückgänge in Land-, Forstwirtschaft und Fischerei, im Gastgewerbe und in Information und Kommunikation ausgefallen. Absolut betrachtet habe die Zeitarbeit am meisten verloren – hier ist aber zugleich mit 21% der größte Anteil der gemeldeten Arbeitsstellen zu verzeichnen. 14% des Bestands an gemeldeten Stellen sind den qualifizierten Unternehmensdienstleistungen zuzurechnen, 12% dem Handel und je 11% Industrie sowie dem Gesundheits- und Sozialwesen. 7% sind der Baubranche zuzuordnen.

Tarifbindung lässt nach

Unterdessen setzt sich hierzulande der schleichende Rückgang der Tarifbindung fort, mahnt das WSI. Dieser habe nicht nur negative Konsequenzen für die Beschäftigten und die Kaufkraft breiter Bevölkerungsschichten, sondern wirke sich indirekt auch auf die Einnahmen von Sozialversicherungen und öffentlicher Hand aus. 2023 waren 49% aller Beschäftigten in tarifgebundenen Betrieben tätig, im Jahr 2000 waren es allerdings noch 68%. Gemäß EU-Recht müssen alle Länder, in denen die Tarifbindung unter 80% liegt, bis November 2024 einen Plan mit konkreten Maßnahmen zur schrittweisen Erhöhung der tarifvertraglichen Abdeckung aufstellen. Das sollte die Bundesregierung rasch tun, wirksame gesetzliche Instrumente dafür seien bekannt, mahnen die Studienautoren Malte Lübker und Thorsten Schulten. Dazu zählten etwa eine weitere Erleichterung der Allgemeinverbindlicherklärung (AVE) von bestehenden Tarifverträgen, Tariftreueregelungen bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen sowie ein bundesweiter Vergabemindestlohn.

Große Spannbreite

Die Spannweite der Tarifbindung ist dabei hoch: Spitzenreiter sind Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg mit je 54%, im Schlusslicht Mecklenburg-Vorpommern sind 40% der Betriebe tarifgebunden. Die größten Rückgänge im Jahresvergleich verzeichnet das WSI für Brandenburg, Bremen, Hessen, Niedersachsen und das Saarland. Und während die Beschäftigten in tariflosen Betrieben im Westen vor allem einen deutlich höheren Umfang der wöchentlichen Mehrarbeit zu spüren bekommen, zeigen sich in Ostdeutschland die größten Nachteile einer fehlenden Tarifbindung, schreiben die Forscher.

Laut den Daten aus dem repräsentativen IAB-Betriebspanel, auf denen die Studie basiert, beträgt deutschlandweit die regelmäßige Wochenarbeitszeit in nicht tarifgebundenen Betrieben 39,5 Stunden, wohingegen in Betrieben mit Tarifvertrag 38,6 Stunden gearbeitet wird. Dabei steht einem durchschnittlichen Brutto-Monatsverdienst in tariflosen Betrieben von 3.460 Euro ein Monatsgehalt von im Schnitt 4.230 Euro in tarifgebundenen Betrieben gegenüber.

Lohnlücke schließt sich etwas

Geschlossen hat sich indes die Schere zwischen den Top- und Geringverdienern. Destatis zufolge erhielten im April 2023 Besserverdienende das 2,98-Fache des Bruttostundenverdienstes von Geringverdienenden. Im Jahr zuvor war es noch das 3,28-Fache. Zwischen April 2018 und April 2022 hingegen hatte sich der Verdienstabstand kaum verändert – 2018 betrug der Faktor 3,27.

Gerade Geringverdienende hätten angesichts der Mindestlohnerhöhung „eine deutliche Verdienststeigerung“ verzeichnet, erklärten die Statistiker. Während sich die Verdienste der untersten Lohngruppe um durchschnittlich 12,4% erhöhten, waren es bei der oberen nur 1,9%. Mit einem Stundenverdienst von 12,25 Euro zählt man zu den Geringverdienenden, befindet sich also unter den unteren 10% der Lohnskala. Ab 36,48 Euro Stundenlohn zählt man zu den Besserverdienenden, also zu den oberen 10%.

Das Lohngefälle ist laut Destatis in Westdeutschland nach wie vor stärker als in Ostdeutschland, die Lohnspreizung hat sich gleichwohl ähnlich entwickelt. Im April 2023 erhielten Besserverdienende im Westen den 3,04-fachen Bruttostundenverdienst von Geringverdienenden. Im Osten lag der Faktor bei 2,49. 2022 betrug der Verdienstabstand im Westen 3,34 und im Osten 2,8.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.