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„In der nächsten Krise stehen wir nackt da“

Die Finanzpolitik ist an ihre Grenzen gekommen. Schon ein politisches Ereignis könnte nach Meinung von Ökonomen auf dem Finanzmarkt-Roundtable die nächste Schuldenkrise einläuten.

„In der nächsten Krise stehen wir nackt da“

„In der nächsten Krise stehen wir nackt da“

In den meisten Staaten ist die Schuldenfinanzierung ausgereizt – Ökonomen auf dem Finanzmarkt-Roundtable warnen vor politischer Handlungsunfähigkeit

Die Finanzpolitik ist an ihre Grenzen gekommen. Schon ein politisches Ereignis könnte nach Meinung von Ökonomen auf dem Finanzmarkt-Roundtable von Dekabank, Institut der deutschen Wirtschaft und Börsen-Zeitung die nächste Schuldenkrise einläuten. Die Ratingagenturen sind hierbei kein verlässlicher Signalgeber.

Von Stephan Lorz, Frankfurt

Die Grenzen der Verschuldung rücken immer näher. In den vergangenen 25 Jahren hat sich die globale Schuldenquote etwa verdoppelt. Und in jüngster Zeit spielen auch die USA, immerhin der weltweit größte Schuldner, mit der Idee, die Verschuldung weiter anwachsen zu lassen. Denn alle Pläne des künftigen US-Präsidenten Donald Trump laufen letztlich darauf hinaus, dass der Dollar schwächer wird, die Steuereinnahmen erodieren und die Ausgaben eher weiter wachsen. Inwieweit das die Gläubiger hinnehmen, ist die große Frage. Wie die Finanzmarktakteure reagieren, scheint absehbar zu sein.

Jedenfalls erkennt Deka-Chefvolkswirt Ulrich Kater diesbezüglich schon einige Signale, dass die Risikoaufschläge für US-Papiere im Vorfeld zum Präsidentenwechsel leicht ansteigen, wie er auf dem Finanzmarkt-Roundtable von Dekabank, Institut der deutschen Wirtschaft (IW) und Börsen-Zeitung durchblicken ließ. LBBW-Chefvolkswirt Moritz Krämer verweist auf eine Prognose seines früheren Arbeitgebers, der Ratingagentur Standard & Poor's (S&P), wonach die US-Schuldenquote bis 2060 auf bis zu 228% des BIP steigen könnte. Das Peterson Institute geht davon aus, dass allein Trump dabei für 25 Prozentpunkte verantwortlich sei.

Rating kein guter Indikator

Die Vergabe der Bonitätsnoten durch Ratingagenturen hält Krämer allerdings für keine guten Indikatoren. Bereits in der Vergangenheit hätten sie zu viel Rücksicht auf Industrieländer genommen. Selbst in den jüngsten Krisen hatten sie eigentlich notwendige Herabstufungen unterlassen. Insofern seien Bonitätsangaben kein Signalgeber für eine sich anbahnende Krise.

Ob diese Krise eher von den USA ausgeht, von Europa oder von China, ist indes nicht ausgemacht. Zwar zeichnet der Finanzmarkt im Moment mit Blick auf die Schuldenlage der USA ein eher „trügerisches Bild“, meint Kater, weil es sehr schnell zu einer krisenhaften Zuspitzung kommen könnte. Der Anlass könnte sein, wenn Trump „die US-Notenbank zu einer Abteilung des Finanzministeriums macht“.

Nächste Schuldenkrise in Europa

Krämer verortet die nächste Schuldenkrise indes eher in Europa. Und das könnte seiner Einschätzung nach womöglich schon zum Ende dieses Jahrzehnts passieren. Das große Manko Europas seien nämlich die auf allen Ebenen agierenden zentrifugalen Kräfte – in der Wirtschaft, der Staatsfinanzierung und in der Politik. Als besonders gefährliche Entwicklung stuft er dabei die Lage in Frankreich ein. Mit Blick auf die Schuldenentwicklung hält er dies „für viel gefährlicher als seinerzeit in Griechenland“. Zumal hinzukomme, dass Europa politisch immer weniger handlungsfähig, und der finanzpolitische Spielraum immer enger werde. Krämer: „Kommt dann eine neue Pandemie, steht Europa in der nächsten Krise nackt da“.

Deutschland kann zwar auf eine vergleichsweise niedrige Schuldenquote von knapp 60% des BIP verweisen, was Berlin eigentlich mehr Spielraum gibt als anderen Staaten wie Frankreich oder Italien. Es hat sich aber mit der Schuldenbremse selber gebunden und zuletzt Investitionen noch zurückgefahren, um Sozialausgaben finanzieren zu können. Diese Versäumnisse fallen Politik und Wirtschaft nun auf die Füße, monieren die Ökonomen. Zudem höhle die ausgebliebene Modernisierung der Infrastruktur die Wachstumsgrundlagen aus und lasse Unternehmen verzweifeln. Der Wirtschaftsstandort Deutschland verliere an Attraktivität.

Schuldenbremse reformieren

Das eine Ökonomenlager verlangt gleichwohl die Einhaltung der Schuldenbremse und verweist auf Umstrukturierungen im Haushalt. Das andere Lager hält es für geboten, zügig zu reagieren, die Schuldenbremse für künftige Anforderungen anzupassen, die Finanzierung der großen Investitionsentscheidungen aber in einen Sonderfonds auszulagern, weil die Gelder aus dem regulären Haushalt nicht in der gebotenen Schnelligkeit und Größenordnung zu realisieren wären.

Intergenerative Ausgaben

Deka-Chefvolkswirt Kater hält die Schuldenfinanzierung auch mit Blick auf die Generationengerechtigkeit für verantwortbar. Infrastrukturinvestitionen seien schließlich „intergenerative Ausgaben“. Zumal, so die Argumentation, es der nächsten Generation ja auch nicht hilft, wenn die Staatsverschuldung zwar niedrig, der Wirtschaftsstandort dann aber international nicht mehr wettbewerbsfähig sei.

Unfähig zur Priorisierung

Für gefährlich hält er aber einen anderen Hang der Politik, der in immer stärkeren Maße den politischen und finanziellen Handlungsspielraum einengt: Der Staat scheint mit Verweis auf seine enge Finanzlage nicht in der Lage, Ausgaben zu priorisieren hin auf mehr investive Zwecke. Letztendlich, so LBBW-Chefvolkswirt Krämer, bleibe ihm angesichts der auflaufenden zusätzlichen Ausgaben aber gar nichts anderes mehr übrig. Er verweist auf die Kosten einer alternden Bevölkerung, steigende Zinsausgaben, notwendige zusätzliche Investitionen und höhere Ausgaben für die Verteidigung.

Dabei braucht es angesichts der sich anbahnenden Finanzlasten nach Meinung der Ökonomen künftig sogar noch eine stärkere politische Führung, die klar priorisiert und den Bürgern gegebenenfalls bei Ausgabewünschen eine Absage erteilt. Kater: „Wenn es die Politik nicht schafft, die Öffentlichkeit auf Budgetgrenzen hinzuweisen, den Haushalt dahingehend umzustrukturieren, und die Bürger auch davon zu überzeugen, wird es zu einer sehr explosiven Stimmung kommen“. Krämer fordert einen „Mindshift“ der Politik. Sie müsse künftig „weniger dogmatisch und ideologisch, weniger auf die Verwaltung der Gegenwart fokussiert sein und sich mehr mit Zukunftslösungen beschäftigen.“