„In Deutschland bewegt sich nichts“
IM INTERVIEW: JOHANNA HEY
„In Deutschland bewegt sich nichts“
Kölner Steuerrechtsprofessorin mahnt zügige Tarifsenkung in der Unternehmenbesteuerung an – „Koalitionsvertrag frustrierend“
Union und SPD haben in der Steuerpolitik hart gerungen. Nun soll ein Investitions-Booster in Form degressiver Abschreibungen die Rezession hierzulande überwinden. Die Steuerjuristin und Wissenschaftlerin Johanna Hey findet es frustrierend, dass der Koalitionsvertrag für die Unternehmen nicht mehr als das bietet.
Frau Prof. Hey, die Wirtschaft soll wieder investieren und der Standort Deutschland wettbewerbsfähig werden. Die Unternehmen fordern dazu gute steuerliche Rahmenbedingungen und eine Tarifsenkung. Kann die neue Koalition den Aufbruch auslösen?
Für Unternehmen, die jetzt aktuell investieren, führen Abschreibungen auf Investitionen von 30% über drei Jahre zu einer spürbaren Steuerentlastung. Unternehmen im Dienstleistungssektor, die nicht wirklich groß in Wirtschaftsgüter investieren, haben davon nichts und warten nach wie vor auf die Tarifsenkung.
Wie sieht es für ausländische Investoren aus?
Abschreibungen sind für Teile der einheimischen Wirtschaft durchaus attraktiv. International werden sie im Zweifel nicht als substanziell wahrgenommen. Sie sind also gerade deshalb kein Argument in Deutschland zu investieren, wenn es nicht wie unter der ersten Amtszeit von Donald Trump in den USA eine 100-%-Abschreibung ist. Die geplanten 30% haben keinen Wow-Effekt. Zugleich kommt das Signal: Wir schaffen es wieder nicht, den Steuersatz zu senken.
Die Steuersatzsenkung kommt zwar – aber zu spät und es ist zu wenig?
Von einer Steuersatzsenkung würden alle Unternehmen profitieren. Die Koalition will den Körperschaftsteuersatz erst ab 2028 in Schritten von jährlich einem Prozentpunkt senken. Das ist fast schon kontraproduktiv. 2029 kommt schon die nächste Bundestagswahl.
Hat es wenigstens positive Signalwirkung?
Es ist im Gegenteil eher ein verheerendes Signal. Ein ausländischer Investor schaut auf den Steuersatz und sieht: es bleibt alles beim Alten. In Deutschland bewegt sich nichts. Zudem kostet auch eine derart zaghafte Steuersatzsenkung Geld, ohne dass sie wirklich etwas bewirkt.
Also es gibt nichts zur Verlustverrechnung, nichts zur Organschaft, nichts zur Umstrukturierung, einfach wirklich nichts. Das ist frustrierend.
Neben den beiden Komponenten Abschreibung und Steuersatzsenkung – bietet der Koalitionsvertrags sonst noch etwas für die Wirtschaft?
Nichts. Also es gibt nichts zur Verlustverrechnung, nichts zur Organschaft, nichts zur Umstrukturierung, einfach wirklich nichts. Das ist frustrierend. Stattdessen ist die Anhebung des Mindesthebesatzes für die Gewerbesteuer angekündigt.
Wie wirkt sich dies aus?
Es gibt immer noch Unternehmen, die mit dem Gewerbesteuerwettbewerb spielen. Für die wird es ein bisschen teurer. Aber das sind absolut keine Maßnahmen, die auch nur der Erwähnung wert wären.

picture-alliance/ ZB | Karlheinz Schindler
Ökonomen plädieren für eine rechtsformneutrale Besteuerung. Dazu gibt es einen Ansatz?
Es gibt eine kryptische Formulierung, man wolle prüfen, gewerbliche Gewinne unabhängig von der Rechtsform der Körperschaftsteuer zu unterwerfen. Das klingt nach der althergebrachten Idee einer allgemeinen Unternehmensteuer. Aber alles, das konkreter hätte werden können, bleibt blass oder es kommt eben gar nichts. Dem Ganzen kann ich kaum irgendetwas Gutes abgewinnen, außer der Abschreibung. Die will ich nicht kleinreden.
Warum wäre eine erweiterte Verlustverrechnungsregelung wichtig?
Die Unternehmen sind im Augenblick wirklich unter Druck, das Verlustrisiko steigt. Dem kommunalen Querverbund, einem Verlustausgleich unter oft nicht so gut gemanagten kommunalen Unternehmen, widmet der Koalitionsvertrag eine Passage. Aber: Es gibt keinen Gedanken zu Verlusten von normalen wirtschaftlichen Unternehmen. Das ist einfach frustrierend. Der Koalitionsvertrag fängt damit an, dass wir Wachstum schaffen müssen. Wachstum schafft man mit risikobereiten Unternehmen. Risikobereite Unternehmen machen vor allem in der Anfangsphase oft Verluste.
Sie haben der Kommission Unternehmensteuerreform von 2024 angehört. Sehen Sie Vorschläge aufgegriffen, die die Kommission vorgelegt hat?
Wir haben diverse Besonderheiten in der deutschen Unternehmenbesteuerung, die uns im Wege stehen. Das eine ist die Sonderrolle der Gewerbesteuer. Sie ist heute in vielen Kommunen stärker als die Körperschaftsteuer. Kein anderer Staat hat leistet sich eine solche Steuerstruktur mit zwei gleich starken, aber eben unterschiedlich zu ermittelnden Unternehmensteuern und wir ecken damit immer an. International denken wir eigentlich immer nur an die Körperschaftsteuer. Die Gewerbesteuer führt ein Sonderleben. Damit können wir derzeit ausländische Steuern nicht vernünftig anrechnen. Dies geht nur bei der Körperschaftsteuer, nicht bei der Gewerbesteuer.
Gibt es dafür eine Lösung?
Einer der zentralen Vorschläge der Kommission war es, die Körperschaftsteuer wieder zur führenden Steuer zu machen und die Gewerbesteuer auf die Körperschaftsteuer anzurechnen. Bei der Einkommensteuer machen wir dies schon seit 2001 so.
Was wäre der Vorteil?
Es ist systematisch keine schöne Lösung, eine Steuer zu erheben, um sie direkt wieder anzurechnen, aber wir werden die Gewerbesteuer eben leider nicht los und hätten wenigstens wieder eine aussagekräftige Körperschaftssteuer. Der Körperschaftsteuersatz könnte auf 25% steigen, die Gesamtbelastung für Kapitalgesellschaften würde aber von heute rund 30% um fünf Prozentpunkte sinken. Bei Großstadtkommunen mit einem Gewerbesteuerhebesatz von 450 bis 500 Punkten liegt die Steuerbelastung heute sogar eher bei 32% bis 33%.
Wie sieht es mit Steuerausfällen aus?
Die Anrechnung ist fiskalisch vorteilhafter als eine Körperschaftsteuersenkung. Eine Tarifsenkung der Körperschaftsteuer, etwa von heute 15% auf 10%, führt beim Fiskus pro Prozentpunkt zu rund 3 Mrd. Euro Mindereinnahmen. Wenn hingegen der Körperschaftssteuersatz hochgesetzt, dafür aber die Gewerbesteuer pauschal bis 400 Punkte angerechnet wird, könnte man auf die Idee kommen: wenn es zur selben Entlastung führt, müsste es auch dasselbe kosten. Das tut es aber aus einem ganz simplen Grund nicht. Für die Gemeinden ist es nicht mehr attraktiv, mit ihren Hebesätzen unter 400 Punkte zu gehen.
Gibt es auch Verlierer?
Gehen die Gemeinden mit geringeren Hebesätzen als 400 Punkten hoch, würden Unternehmen in Kommunen mit Hebesätzen von 250 Punkten wie in Leverkusen oder Monheim künftig etwas mehr belastet. Ebenso werden Immobilienunternehmen mehr belastet, die aktuell die so genannte erweiterte Kürzung geltend machen können.
Warum betrifft dies Immobilienunternehmen?
Immobilienunternehmen haben nur einen Steuersatz von 15 %. Auch wenn die Immobilienwirtschaft das nicht hören will: Die Regelung der erweiterten Kürzung ist komplett aus der Zeit gefallen. Sie bezieht sich auf die Konstellation, in der die Körperschaftsteuer noch 56 % betrug und deutlich über der Gewerbsteuer lag. Heute müssen wir aber Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer zusammendenken. Eine einzelne Branche mit nur 15 % zu begünstigen, ist wirklich problematisch und verursacht hohe Komplexität.
Im Koalitionsvertrag wird ein verbessertes Optionsmodell in Aussicht gestellt. Bietet dies einen Ausweg aus der deutschen Sonderkonstellation von zwei Unternehmensteuern?
Dies ist ein positiver Punkt. Die schon bestehende Möglichkeit der Option der Personengesellschaft zur Körperschaftssteuer will die Koalition erleichtern. Sie sagt aber nicht, wie sie das schaffen will.
Wo steckt das Problem?
Es hat zwei Gründe, warum Personengesellschaften nicht optieren. Eine Personengesellschaft mit hohem Gewinn dürfte von der sogenannten Thesaurierungsrücklage Gebrauch gemacht haben. Zu einem Einkommensteuersatz von knapp 30% kann sie derzeit Gewinne thesaurieren. Will eine solche Personengesellschaft in die Körperschaftssteuer wechseln, müssen alle Rücklagen mit 25 % nachversteuert werden. Das macht kein Unternehmen.
Und das zweite Problem …
... ist das Sonderbetriebsvermögen. Dies sind Wirtschaftsgüter, die den Gesellschaftern der Personengesellschaft gehören. Sie sind kein Gesellschaftsvermögen. Das kann ein betrieblich genutztes Grundstück sein. Diese Immobilien müssten in die Gesellschaft eingebracht werden, um steuerneutral optieren zu können. Dies will der Gesellschafter meist nicht. Er will sein Eigentum behalten.
Gibt einen Ausweg?
Derzeit überführt man das Sonderbetriebsvermögen in eine andere Gesellschaft. Das funktioniert aber häufig nicht, weil dann die Rechtsprechung zum sogenannten Gesamtplan greift. Die Richter sprechen von einer Art Umgehungslogik: Die Konstruktion umgehe nur, dass der Gesellschafter das Grundstück eigentlich in die Gesellschaft hätte einlegen und die stillen Reserven aufdecken müssen. Dies will die Koalition wohl ändern.
Sie müssen immer drumherum gestalten. Dies genau führt zur Komplexität des Steuerrechts.
Das hilft nicht weiter?
Mich stört der Weg. Sie müssen immer drumherum gestalten. Dies genau führt zur Komplexität des Steuerrechts. Wenn jetzt erlaubt wird, drumherum zu gestalten, ist es für die Praxis ein bisschen besser, aber es führt zu Kosten und wirtschaftlich sinnfreien Gestaltungen.
Lauern noch mehr Gefahren beim Sonderbetriebsvermögen?
Es kann passieren, dass Sonderbetriebsvermögen übersehen wird. Wird es nicht ausgliedert, ist die Option auf einmal nicht mehr steuerneutral und alle stillen Reserven müssen plötzlich versteuert werden. Vernünftig funktionieren wird die bestehende Option nur, wenn die gesamten Hemmnisse beseitigt werden. Dies ist nicht trivial.
Wie sieht es mit dem Bürokratieabbau im Steuerrecht aus?
Dazu steht im Koalitionsvertrag für das Unternehmensteuerrecht kein Wort. Ich bezweifele auch, dass es zu einer Bürokratieentlastung kommt. Es gibt im Vertrag nicht eine einzige brauchbare Sache, wie die Koalition das Unternehmenssteuerrecht vereinfachen will.
Die globale Mindeststeuer haben über Europa hinaus nur wenige andere Länder eingeführt. Die Unternehmen müssen eine komplexe Steuer mit einer ganz eigenen Bemessungsgrundlage berechnen. Es gibt also einen Wettbewerbsnachteil und ein Bürokratieproblem. Wie bewerten Sie die Pläne der Koalition dazu?
Sie sind widersprüchlich. Ich habe den Eindruck, das Problem wird gesehen, aber er gibt keinen echten Plan dazu. Die USA machen nicht mit. Ein mögliches Aussetzen der Steuer in Europa wäre eine Antwort auf die von Trump angedrohten Vergeltungsmaßnahmen. In der EU heißt es zudem, wir müssen vereinfachen. Auch da ist es sehr unklar, was mit der Mindeststeuer wirklich geschehen wird.
Wie verhalten sich die Unternehmen?
Die Unternehmen verhalten sich nicht ganz eindeutig. Eigentlich lehnen sie Mindeststeuer ab, aber irgendwie nimmt man sie auch hin, nachdem viele Millionen in die Umsetzung investiert wurden.
Es ist grotesk, die Mindeststeuer kostet viel mehr im Vollzug als sie an Steueraufkommen bringt.
Freut sich wenigstens der Fiskus?
In der Tendenz ist es eine Steuer, die praktisch kein Aufkommen bringt. Es ist grotesk, die Mindeststeuer kostet viel mehr im Vollzug als sie an Steueraufkommen bringt. Da ist einfach etwas falsch. Auch jenseits der besonders hohen Einführungskosten: die Mindesteuer wird die Unternehmen, aber auch die Finanzverwaltung, die sie kontrolliert, immer sehr viel kosten. Sie sollte auch nur die anderen Staaten dazu bringen, ihre Steuern auf 15 % anzuheben. Wenn Staaten wie die USA nicht mitmachen, wird die Mindeststeuer dieses Ziel nicht erreichen.
Die Unternehmen fühlen permanentes Misstrauen und sich umzingelt von Missbrauchsregelungen. Können sie künftig auf Besserung hoffen?
Es ist im Koalitionsvertrag nichts Konkretes dazu gesagt. Im Gegenteil: Die längste zusammenhängende Passage, beschreibt anhaltende Probleme von Steuerhinterziehung und Steuervermeidung. Es sind zwar keine neuen konkreten Maßnahmen angekündigt, aber das Wort Vertrauen gegenüber Steuerpflichtigen habe ich auch nicht gesehen.
Sind Unternehmen immer noch gut darin, Steuer zu umgehen?
Die Cum-ex-Fälle halten das Misstrauen wach. Es war aber eine bestimmte Klientel, die das gemacht hat. Das Gros der Unternehmen ist compliant. Gerade große Unternehmen stehen stark unter Beobachtung. Natürlich spielen Steuern bei Entscheidungen von Unternehmen, die weltweit agieren und mit unterschiedlichen Steuersätzen konfrontiert sind, eine Rolle. Es gibt auch Finanzierungsgestaltungen. Aber die Steuerbelastung, die wir aus dem Country by Country Reporting kennen, zeigt nicht, dass Unternehmen in großem Stil deutsche Steuern vermeiden.
Das Interview führte Angela Wefers
Das Interview führte Angela Wefers.