Großbritannien

„In Gottes Namen, gehen Sie!“

Der Ex-Brexit-Staatssekretär David Davis fordert Boris Johnson mit „In Gottes Namen, gehen Sie“ zum Rücktritt auf – eine Anspielung auf Leo Amerys Appell an Neville Chamberlain im Jahr 1940.

„In Gottes Namen, gehen Sie!“

hip London

Der Druck auf den britischen Premierminister Boris Johnson hat nach weiteren Enthüllungen zu den Partys an seinem Amtssitz in den vergangenen Tagen zugenommen. Der ehemalige Brexit-Staatssekretär David Davis bemühte im Unterhaus die Worte, die der Tory Leo Amery 1940 an Neville Chamberlain richtete: „In Gottes Namen, gehen Sie!“ Kurz vor der deutschen Invasion Frankreichs hatte Amery gesagt, man müsse Leute an die Regierung bringen, „die unseren Feinden an Kampfgeist, Wagemut, Entschlossenheit und Siegensdurst gleichkommen“. Davis sagte, er habe Johnson monatelang in seinem Wahlkreis verteidigt und dabei auf Brexit und Impfprogramm verwiesen. Aber er erwarte, dass Führer die Verantwortung für ihr Handeln übernehmen. Johnson habe das Gegenteil getan. Dominic Cummings, der ehemalige Strategiechef des Premiers, warf seinem ehemaligen Arbeitgeber unterdessen vor, gewusst zu haben, dass die umstrittene Gartenparty im Mai 2020 gegen die von ihm verhängten Ausgangsbeschränkungen verstoßen habe. Er habe trotzdem grünes Licht gegeben.

Johnson kündigte derweil die Aufhebung der von ihm unter dem Motto „Plan B“ verhängten Corona-Restriktionen wie der Maskenpflicht an bestimmten Orten an. Angestellte könnten wieder in die Büros zurückkehren.

Eine Reihe von Abgeordneten, die sogenannte „Red Wall“-Wahlkreise vertreten, unternahmen derweil einen Anlauf für ein parteiinternes Misstrauensvotum. Sie reichten beim dafür zuständigen 1922 Committee der Regierungspartei entsprechende Unmutsbekundungen ein. Unter der „Red Wall“ werden Wahlkreise in ehemaligen Arbeiterregionen verstanden, die bis zur Wahl im November 2019 als Hochburgen von Labour galten. Die Revolte wurde in den Medien als „Pork Pie Plot“ gefeiert, weil eine der Abgeordneten, Alicia Kearns, den Wahlkreis Rutland & Melton vertritt, die Heimat der Melton-Mowbray-Pasteten, die in jedem Supermarkt zu finden sind.

Christian Wakeford, der 2019 im Wahlkreis Bury South gewählt wurde, wechselte zu Labour.

Misstrauensvotum naht

Einer der Johnson-Gegner, der Ab­geordnete Andrew Bridgen, erwartet, dass die Rebellen die Schwelle von 54 Briefen an Graham Brady, den Vorsitzenden des Komitees, noch diese Woche überschreiten könnten. Dann könne bereits in der kommenden Woche ein Misstrauensvotum angesetzt werden, sagte er der BBC. Schafft es Johnson bei einer Abstimmung, eine Mehrheit hinter sich zu scharen, kann zwölf Monate lang kein neues Misstrauensvotum angesetzt werden. Allerdings wäre seine Position deutlich geschwächt. Trotz einer Mehrheit von 80 Mandaten im Unterhaus könnte er schon heute nicht davon ausgehen, dass er ein parlamentarisches Misstrauensvotum überstehen würde.

Unterdessen braut sich in der Wirtschaft größerer Ärger zusammen, als durch ein paar Regelverstöße entstehen kann. Das Ausmaß der Teuerung überraschte das dritte Mal in Folge. Die Verbraucherpreise stiegen im Dezember um 5,4 %, wie das Statistikamt ONS mitteilte. Das sind 0,9 Prozentpunkte mehr, als im zentralen Szenario im jüngsten Inflationsbericht der Bank of England angesetzt wurden. Bankvolkswirte hatten im Schnitt 5,2 % auf der Rechnung. Die um schwankungsanfällige Komponenten bereinigte Kernrate legte um 4,2% zu. Hier hatte der Mittelwert der Schätzungen bei 3,9 % gelegen. Größter Treiber waren die Lebensmittelpreise. Aber auch Kleidung, Möbel sowie Hotel- und Gaststättenbesuche leisteten einen Beitrag zum Preisauftrieb.

„Eine Inflation deutlich über der 5 -%-Marke würde implizieren, dass das Wachstum der Realeinkommen ins Minus dreht“, schrieb der HSBC-Volkswirt Chris Hare in einer ersten Einschätzung (siehe Grafik). Im April werde sich der Inflationsdruck wegen starker Preiserhöhungen der Energieversorger intensivieren. Die Bank geht davon aus, dass die vom Preisdeckel des Regulierers betroffenen Energierechnungen im April um rund 40 % steigen werden. Greife die Regierung nicht ein, könnten sie auch um 50 % oder mehr in die Höhe schießen. Hare erwartet vor diesem Hintergrund, dass die Teuerungsrate im April bei 6 % oder höher liegen wird.