„In Wahljahren sitzt das Geld grundsätzlich etwas lockerer“
Herr Professor Feld, mitten in der anhaltenden Coronakrise steht Deutschland vor einem Superwahljahr. Ist das wirtschaftspolitisch eher Fluch oder Segen?
Ich halte nichts davon, die Wirtschaftspolitik unabhängig von politischen Einflussfaktoren zu sehen. Dazu gehört natürlich der Wahlzyklus. Es ist bekannt, dass in Wahljahren das Geld grundsätzlich etwas lockerer sitzt. Die Besonderheit in diesem Jahr ergibt sich eher dadurch, dass die Regierungskoalition keine Liebesheirat war, die Koalitionäre gegeneinander Wahlkampf machen und sich in ihren wirtschafts- und finanzpolitischen Versprechen gegenseitig überbieten.
Wie beurteilen Sie die jüngste Wende in der Coronapolitik – mit ersten Lockerungen des Lockdowns trotz sogar leicht steigender Infektionszahlen und der Ausbreitung der Virusmutationen?
Es ist eine Gratwanderung. Einerseits weiß die Politik bei aller weiteren Unsicherheit, die in dieser Pandemie durchgehend herrscht, dass die dritte Infektionswelle aufgrund der hochansteckenden Virusmutationen gefährlich ist. Der Druck aus der Bevölkerung und der Wirtschaft ist andererseits zu groß, als dass ein strengerer Lockdown noch viel länger durchhaltbar wäre. Das kann schiefgehen, denn es ist eben weiter unsicher, ob der Rückgang der wegen Corona auftretenden Todesfälle auf die Impfungen der ersten Priorisierungsgruppe oder auf geringere Infektionszahlen allgemein zurückzuführen ist. Von einer erfolgreichen Impfkampagne hängt daher die Gesundheitslage genauso wie die Wirtschaftslage in immer stärkerem Maße ab.
Die Kritik an den wirtschaftspolitischen Rettungsmaßnahmen wächst: Hat die Bundesregierung genug und das Richtige getan? Müsste Sie jetzt noch mehr tun?
Im Großen und Ganzen ist die expansive Fiskalpolitik der Bundesregierung richtig. Es steht zudem noch immer so viel Geld im Schaufenster, dass es kein neues Konjunkturpaket braucht. Es kommt aber auf die Ausgestaltung unterschiedlicher Instrumente an. Weiterhin ist der steuerliche Verlustrücktrag auf ein Jahr begrenzt. Eine Ausweitung auf zwei Jahre wäre für Unternehmen, die 2020 und 2021 Verluste einfahren, enorm wichtig. Und: Die als Kompensation für Schließungen zu zahlenden Überbrückungshilfen entwickeln sich zu einem Bürokratiemonster. Warum ging das nicht über die Finanzämter?
Befeuert vom Wahlkampf nimmt auch die Debatte zu, wer die Kosten der Krise tragen soll und wie sich etwa die stark erhöhte Staatsverschuldung wieder abbauen lässt. Braucht es höhere Steuern oder eine Vermögensabgabe?
Der Wahlkampf wird stark beeinflusst sein von der Finanzpolitik und den finanzpolitischen Vorhaben der Parteien. Dabei wird erst nach der Bundestagswahl einigermaßen absehbar, wo wir finanzpolitisch stehen und wie groß das Konsolidierungserfordernis tatsächlich ist. Richtig bleibt, dass der Großteil der Konsolidierung in den kommenden Jahren durch Wirtschaftswachstum gesichert werden muss. Steuererhöhungen, gar eine Vermögensteuer oder -abgabe sind dahingehend absolut kontraproduktiv. Wie soll man den Mittelstand zu einer verstärkten Investitionstätigkeit bewegen, wenn ihm zugleich gesagt wird, dass er deutlich mehr von seinem Gewinn abgeben muss? Allein mit höheren öffentlichen Investitionen, etwa der Renovierung von Schultoiletten oder dem Ausbau unnötiger Regionalflughäfen, wird das nicht gehen.
Welche wirtschaftspolitischen Prioritäten sollte die künftige, neue Bundesregierung haben? Und in welcher Koalition ließen sich diese am besten umsetzen?
Die nächste Bundesregierung muss eine dezidiert auf Innovationen und Wachstum ausgerichtete Wirtschaftspolitik betreiben, dies möglichst gut mit dem Klimaschutz zusammenbringen und zugleich die öffentlichen Haushalte konsolidieren. Dies wird nicht einfach sein angesichts eines schwierigeren geostrategischen Umfelds, das sich auf den Außenhandel ungünstig auswirken kann. Ich traue dies vielen politischen Konstellationen zu, die ohne die AfD und die Linke auskommen.
Wie lautet Ihr wirtschaftspolitisches Fazit nach 16 Jahren Kanzlerschaft von Angela Merkel?
Die Konstanz ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik hat Deutschland gutgetan und bei aller Kritik im Einzelnen zu der wirtschaftlichen Stärke des Landes beigetragen, die es jetzt erlaubt, wirtschaftlich noch einigermaßen glimpflich durch die Coronakrise zu kommen. Die Kritik im Einzelnen bezieht sich auf die letztendlich zu teure Energiewende nach dem Reaktorunglück von Fukushima und die zu geringe Reformbereitschaft oder sogar falschen Weichenstellungen in der Renten- und Gesundheitspolitik.
Einige Ökonomen attestieren zumal in der Pandemie einen Linksruck in der deutschen Wirtschaftspolitik. Teilen Sie diese Einschätzung?
Nur weil der Staat fiskalpolitisch expansiv unterwegs ist, betreibt er noch keine linke Wirtschaftspolitik. Selbst die Staatsbeteiligungen über den Wirtschaftsstabilisierungsfonds sind doch moderat. Problematisch finde ich, dass unter dem Deckmantel der Corona-Pandemie Maßnahmen angestoßen oder verabschiedet werden, die sich mancher schon länger gewünscht hat. Dies betrifft vor allem die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Dazu gehört etwa die Forderung einer Übernahme der sogenannten Altschulden der Kommunen durch den Bund, selbst noch nachdem der Bund ihre Sozialausgaben in stärkerem Maße schultert, oder der Vorstoß von Gesundheitsminister Jens Spahn, die Soziale Pflegeversicherung von einer Teilkasko- in eine Vollkaskoversicherung mit Selbstbehalt umzuwandeln, oder der Vorstoß, einen Tarifvertrag Pflege von Verdi und dem Pflegeverband BVAP allgemeinverbindlich zu erklären. Dies birgt bei Lohnsteigerungen von bis zu 25% eine enorme Ausgabendynamik. Schlimmer noch ist das Unterlaufen der Tarifautonomie, wenn ein Tarifvertrag, der nur eine geringe Anzahl von Beschäftigten vertritt, aus rein politischen Gründen zum Standard erklärt werden soll.
In der Pandemie hat der Staat stark in die Wirtschaft eingegriffen, das Verhältnis von Staat und Markt hat sich verändert. Lässt sich das wieder zurückdrehen oder braucht der Staat eine neue Rolle?
Wenn es gelingt, die strukturellen Effekte der in der Pandemie getroffenen Maßnahmen im Griff zu behalten, dann wird sich dies wieder adjustieren lassen. Damit meine ich strukturelle Mehrausgaben genauso wie Mindereinnahmen, aber auch die Beteiligungen, Kredite und Bürgschaften von Bund und Ländern. Ich bin ganz zuversichtlich, dass dies auf Bundesebene gelingt. Bei den Ländern bin ich weniger sicher.
Die Fragen stellte Mark Schrörs.