Industrie kämpft mit Knappheiten
ba Frankfurt
Die Industrie in den weltweit größten Volkswirtschaften hat einen guten Start in die zweite Jahreshälfte hingelegt. Allerdings verlief die Entwicklung uneinheitlich, und in manchen Ländern lässt die Dynamik nach. Unverändert klagen die Unternehmer über Lieferkettenprobleme und einen anhaltenden Preisdruck.
Gemessen am Einkaufsmanagerindex (PMI) des Institute for Supply Management (ISM) verlangsamte die US-Industrie das Wachstumstempo im Juli. Der Frühindikator für die US-Wirtschaft, der am Markt mit am stärksten beachtet wird, gab um 1,1 auf 59,5 Punkte nach. Ökonomen hatten einen Stand von 61,0 Zählern prognostiziert und sehen nun den Wachstumshöhepunkt überschritten. Das Barometer liegt damit aber immer noch deutlich im Expansionsbereich oberhalb der 50-Punkte-Marke. Laut ISM-Experte Timothy R. Fiore haben die Unternehmen „weiterhin damit zu kämpfen, die steigende Nachfrage zu befriedigen“. Neben den Materialknappheiten sei aber auch die Besetzung offener Stellen ein Problem. Sowohl Fiore als auch Chris Williamson, Chefvolkswirt bei IHS Markit, strichen in den Kommentaren zu den gestern veröffentlichten Stimmungsbarometern die anhaltende Preissetzungsmacht der Verkäufer heraus. Williamson konstatierte den „vielleicht stärksten Verkäufermarkt, den wir seit Beginn der Erhebung 2007 gesehen haben“. Die Lieferanten konnten die Preise für Vorleistungen so stark anheben wie noch nie zuvor, die Hersteller konnten ihre Verkaufspreise in noch nie dagewesenem Ausmaß erhöhen, denn „sowohl Zulieferer als auch Hersteller stoßen auf wenig Widerstand seitens der Kunden“, erläuterte Williamson. Der vom Analysehaus IHS Markit erhobene PMI für die US-Industrie legte etwas stärker als erwartet von 62,1 auf 63,4 Punkte zu. Die Vorabschätzung lag bei 63,1 Zählern.
„Gefahr für den Aufschwung“
Ein ähnliches Bild zeigt die Stimmungsumfrage auch für die Eurozone. „Im Juli kam es zu einem weiteren Rekordanstieg sowohl bei den Einkaufs- als auch bei den Verkaufspreisen, da die Nachfrage das Angebot übersteigt und die Besorgnis über künftige Nachschubprobleme erneut aufgeflammt ist“, betonte Williamson. Der Aufbau von Sicherheitslagern sei daher weit verbreitet gewesen. Die Engpässe bei Vorprodukten hätten sich im Juli weiter verschärft, und der Auftragsbestand habe mit annähernder Rekordrate zugenommen. „Die Indikatoren für Kapazitätsengpässe leuchten weiterhin rot“, mahnte Williamson.
Unter den deutschen Industrieunternehmen etwa klagen mittlerweile fast zwei Drittel über Engpässe und Probleme bei Vorlieferungen als Hindernis für ihre Produktion. Gemäß der aktuellen vierteljährlichen Umfrage des Ifo-Instituts stieg der Anteil von April bis Juli von 45 auf 63,8%. Damit wurde der Rekordwert des Vorquartals erneut übertroffen. „Das könnte zu einer Gefahr für den Aufschwung werden“, sagte Ifo-Experte Klaus Wohlrabe. Der vorherige Spitzenwert von 20,2% stammt aus dem dritten Quartal 2018. Auch das Ifo-Institut wertet die teils stark gestiegenen Einkaufspreise als problematisch. „Derzeit bedienen die Hersteller die Nachfrage noch aus ihren Lagern an Fertigwaren. Aber die leeren sich nun auch zusehends“, ergänzte Wohlrabe.
Deutschland war unter den von der IHS-Markit-Umfrage betrachteten Ländern das einzige, in dem sich das Wachstumstempo im Juli nicht abschwächte. In Frankreich, Italien und Spanien fiel der Stimmungsdämpfer zwar kräftiger als erwartet aus, allerdings sind laut IHS Markit die Steigerungsraten „weiter überdurchschnittlich hoch“: Die Niederlande (67,4 Punkte) blieben im Eurozone-PMI-Ranking Spitzenreiter, Griechenland (57,4) Schlusslicht. Der PMI für die deutsche Industrie legte auf 65,9 Punkte zu nach 65,1 im Vormonat. Dies ist der dritthöchste Stand seit Beginn der Zeitreihe 1996. Höhere Werte wurden nur im März und April 2021 gemessen. Der PMI für die gesamte Euro-Industrie gab den finalen Daten zufolge um 0,6 auf 62,8 Punkte nach, die Erstschätzung lag bei 62,6 Zählern. Die 63,4 Punkte aus dem Juni waren aber der höchste Stand seit Beginn der Datenerhebung im Juni 1997.
In Großbritannien trübte sich die Stimmung wie erwartet ein: Der Indikator fiel um 3,5 auf 60,4 Punkte, nachdem er im Mai noch ein Rekordhoch bei 65,6 Zählern erreicht hatte. In Japan hingegen stieg die Industriestimmung im Juli um 0,6 auf 53,0 Zähler.
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