Inflation legt Verschnaufpause ein
ast Frankfurt
Die Teuerungsrate in Deutschland ist im Juni leicht gesunken. Wie Destatis am Mittwoch mitteilte, sank die Inflation auf 7,6% im Vergleich zum Vorjahresmonat. Im Mai hatte die Inflationsrate mit 7,9% so hoch gelegen wie seit der Ölkrise 1973/74 nicht mehr. In der europäischen Abgrenzung (harmonisierter Verbraucherpreis-Index, HVPI), die für die Europäische Zentralbank (EZB) wegen der Vergleichbarkeit im Währungsraum relevant ist, liegt die Inflation bei 8,2% zum Vorjahresmonat. Im Mai waren es noch 8,7%.
Die leichte Entspannung dürfte nach Einschätzung der Ökonomen allerdings nur von kurzer Dauer sein. Der Druck auf die EZB, die geldpolitischen Zügel rascher zu straffen als avisiert, lässt vorerst nicht nach. Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine sind vor allem die Preise für Energie angestiegen und wirken sich in erheblichem Maße auf die Inflationsrate aus. Sie legten gegenüber Juni 2021 um 38,0% zu. Auch die Preise für Nahrungsmittel kletterten mit 12,7% überdurchschnittlich.
Dynamik bleibt bestehen
Deutliche Preisanstiege auf den vorgelagerten Stufen wirken sich dabei preiserhöhend aus. Hinzu kommen die teuren Effekte des andauernden Lieferkettenstresses infolge der Coronavirus-Pandemie – insbesondere auch aufgrund der rigiden Einschränkungen beim wichtigen Handelspartner China. Mildernd hingegen dürften sich die kurzfristigen Maßnahmen der Bundesregierung auswirken – in diesem Monat galten erstmals das 9-Euro-Ticket für den Nahverkehr sowie der Tankrabatt an den Zapfsäulen.
Ersten Einschätzungen zufolge bleibt trotz der kleinen Verschnaufpause der zugrundeliegende Trend steigender Preise dennoch bestehen. „Die Daten unterzeichnen noch die echte Inflationsdynamik, weil der Tankrabatt vorübergehend zu einem Absinken der Spritpreise geführt hat“, sagte Friedrich Heinemann vom ZEW. „Dieser Effekt wird die Inflationsrate von Juni bis August dämpfen, ohne dass das eine wirkliche Entspannung signalisiert.“ Mit Blick auf die Sondereffekte warnt auch Jörg Krämer, Chefökonom der Commerzbank: „Der überraschende Rückgang der deutschen Inflation ist kein Grund zur Entwarnung.“ KfW-Chefökonomin Fritzi Köhler-Geib verweist auf die weiterhin rasant steigenden Erzeugerpreise, die den Preisdruck hochhalten: „Es ist nach wie vor Dampf auf dem Kessel.“
Die politischen Maßnahmen dürften die Verbraucher zwar vorübergehend entlasten, sagte DekaBank-Chefvolkswirt Ulrich Kater. „Das führt aber nicht an der Tatsache vorbei, dass wir bis zum Jahresende Inflationsraten von über 7% in Deutschland messen werden.“ Erst 2023 dürfte die Teuerungsrate nach unten gehen – falls nicht neue Krisen warteten, so Kater. Ohnehin steigen die Preise in der Wahrnehmung der Verbraucher viel schneller, als die offiziellen Daten dies spiegeln. Die gefühlte Inflationsrate liege derzeit bei fast 18%, sagte Kater. „Das ist ebenfalls historisch hoch.“ In anderen Ländern der Eurozone ist derweil von Entspannung noch keine Spur. Spanien etwa meldete am Mittwoch ein neues Allzeithoch bei 10% (siehe Bericht auf dieser Seite).
Der Druck auf die EZB, eine rasche Zinswende einzuläuten, bleibt hoch. Die Inflationskuh sei noch nicht vom Eis, erklärte Alexander Krüger, Chefökonom von Hauck Aufhäuser Lampe: „Ein großer Zinsschritt der EZB im Juli wäre besser als ein kleiner.“ Helaba-Ökonom Ulrich Wortberg sekundierte, die EZB stehe unter Druck, „die Leitzinsen deutlich anzuheben, denn das Niveau ist weiter sehr hoch und Entwarnung vonseiten der Energiepreise kann noch nicht gegeben werden“.Mitte Juli entscheidet der EZB-Rat über das weitere Vorgehen. Zum Auftakt des jährlichen geldpolitischen EZB-Forums im portugiesischen Sintra betonte EZB-Chefin Christine Lagarde am Dienstag sogar die Möglichkeit noch rascherer Zinserhöhungen als zuletzt avisiert – falls sich der Inflationsausblick verschlechtern sollte.