Geldpolitik

Inflationserwartungen ziehen an

An den Kapitalmärkten, unter Ökonomen und in der Realwirtschaft verdichtet sich die Einschätzung, dass der Preisauftrieb im Euroraum allmählich steigt. Neue Indizien liefert eine Umfrage der EZB.

Inflationserwartungen ziehen an

rec Frankfurt

An den Kapitalmärkten, unter Ökonomen und in der Realwirtschaft mehren sich Erwartungen an eine allmähliche Rückkehr der Inflation. Neue Indizien liefert die vierteljährliche Umfrage der Europäischen Zentralbank (EZB) unter Finanzmarktprofis, die im Vorfeld des Zinsentscheids am Donnerstag im Durchschnitt ihre Prognosen für die kommenden Jahre durchweg anhoben. Marktbasierte Indikatoren und Befragungen von Verbrauchern und Unternehmen tendieren in dieselbe Richtung.

Diese Entwicklung dürfte der EZB nicht ungelegen kommen. Schließlich hat sie ihr Inflationsziel im Prinzip seit Jahren verfehlt, trotz ihrer sehr lockeren Geldpolitik. Mit ihrem neuen Zinsausblick hat sie nun ein noch stärkeres Signal für eine anhaltend expansive Geldpolitik gesetzt. Zinserhöhungen sind nach allgemeiner Auffassung in weite Ferne gerückt – so weit, dass einzelne Währungshüter wie Bundesbankchef Jens Weidmann und sein belgischer Kollege Pierre Wunsch protestierten. Wunsch argumentierte, er habe sich nicht wohlgefühlt mit dem Ausblick, der als Versprechen verstanden worden sei, für lange Zeit die Zinsen nicht zu erhöhen. Das sagte Wunsch dem Sender CNBC. „Wir sprechen vielleicht von fünf oder sechs Jahren, wenn wir uns die Markterwartungen anschauen.“

Der EZB-Rat hatte am Donnerstag entschieden, an den Null- und Negativzinsen im Euroraum festzuhalten, bis sich die Inflation dauerhaft auf dem EZB-Ziel von 2% stabilisiert hat. Explizit tolerieren die Euro-Hüter künftig nicht näher definierte „Übergangsphasen“, in denen die Inflation „moderat“ über 2% liegt. Beobachter wie Helaba-Volkswirt Ulrich Wortberg interpretieren dies als „Versuch, die Inflationserwartungen dauerhaft auf ein höheres Niveau zu hieven, denn die Erwartungen haben auch Einfluss auf die Preisbildung an den verschiedenen Güter- und Arbeitsmärkten“. Mitunter rechnen Volkswirte damit, dass die steigenden Inflationserwartungen Eingang in Lohnverhandlungen finden werden. Höhere Tarifabschlüsse auf breiter Front dürften in der Folge den unterliegenden Preisauftrieb verstärken, was als Voraussetzung für einen dauerhaften Anstieg der Inflation gilt. Dass diese Entwicklung in eine Lohn-Preis-Spirale mündet, gilt bislang jedoch als unwahrscheinlich.

Ein allgemeiner Trend zu anziehenden Inflationserwartungen ist hingegen unverkennbar. In der Befragung durch die EZB, dem sogenannten „Survey of Professional Forecasters“ (SPF), revidierten die 57 Teilnehmer ihre Einschätzungen über den gesamten Zeitraum nach oben. Mittelfristig rechnen sie damit, dass die Teuerungsrate in Euroland von durchschnittlich 1,9% in diesem auf 1,5% im Jahr 2023 zurückgeht. Auf Sicht von fünf Jahren erwarten sie 1,8% Inflation, nach zuvor 1,7%. Auch die sogenannten marktbasierten langfristigen Inflationserwartungen haben im Verlauf der Pandemie nach einem vorübergehenden Einbruch angezogen. Für den Zeitraum 2026 bis 2031 haben sie sich bei um die 1,6% eingependelt (siehe Grafik). Die EZB peilt glatt 2% Inflation an. Bislang erwartet sie bis 2023 nach einem zwischenzeitlichen Aufflackern einen Rückgang der Inflation auf 1,4%. Neue Projektionen des EZB-Stabs gibt es im September.

Anzeichen, dass der unterliegende Preisauftrieb allmählich anzieht, kommen auch von Seiten der Verbraucher und Firmen. Die Inflationserwartungen der Verbraucher sind jüngst über die Zielmarke von 2% gestiegen, wie aus Konsumentenbefragungen durch die Europäische Kommission hervorgeht. Noch deutlicher sind die Signale auf Seiten der Unternehmen. Jörg Angelé, Ökonom des Assetmanagers Bantleon, bemerkt mit Blick auf die Juni-Umfrage der EU-Kommission, es „gaben so viele Industrieunternehmen wie nie zuvor an, ihre Preise in den kommenden Monaten anheben zu wollen“. Im Dienstleistungssektor sei es ähnlich. „Viele Firmen werden ihre Preise daher im weiteren Jahresverlauf bzw. im nächsten Jahr spürbar anheben.“ Angelé begründet diese Bereitschaft auch mit der hohen Zwangsersparnis vieler Haushalte durch die Corona-Beschränkungen.

EZB-Chefin Christine Lagarde bekräftigte die mehrheitliche Auffassung der Währungshüter, der Inflationsanstieg werde vorübergehender Natur sein. Als Begründung für geringen Inflationsdruck nannte sie die Nachwirkungen der Pandemie, schwaches Lohnwachstum und den Anstieg des Euro-Wechselkurses.