Zweistelliger Anstieg

Insolvenzwelle gewinnt an Kraft

Im Oktober sind wieder mehr Unternehmen insolvent geworden - vor allem Firmen aus dem Bereich Verkehr und Lagerei oder aus dem Osten Deutschlands sind betroffen.

Insolvenzwelle gewinnt an Kraft

Insolvenzwelle gewinnt an Kraft

ba Frankfurt

Die Konjunkturflaute treibt zu Beginn des vierten Quartals wieder mehr Unternehmen in die Pleite. Es trifft vor allem Unternehmen, deren Geschäftsmodell nicht mehr tragfähig ist oder die nicht durchfinanziert sind, betont etwa der Berufsverband der Insolvenzverwalter und Sachwalter Deutschlands (VID). Die staatlichen Beihilfen während der Corona-Pandemie hätten den Insolvenzprozess nur hinausgezögert und Veränderungsprozesse aufgehalten. Transformationsprobleme, demografischer Wandel und überholte Geschäftsmodelle würden nun ihre Spuren bei den Insolvenzen zeigen. Mit der Wahl in den USA und der längeren Phase der Regierungsbildung in Deutschland kämen derweil weitere Unsicherheiten hinzu.

Im Oktober hat sich das Insolvenzgeschehen weiter beschleunigt. Die Zahl der beantragten Regelinsolvenzen ist laut dem Statistischen Bundesamt (Destatis) um 22,9% gegenüber dem Vorjahresmonat gestiegen. Im September gab es einen Zuwachs von 13,7%. „Mit Ausnahme des Juni 2024 (+6,3%) liegt die Zuwachsrate damit seit Juni 2023 im zweistelligen Bereich“, betonten die Statistiker.

Weniger Verbraucherinsolvenzen

Da die Regelverfahren erst nach der ersten Entscheidung des Insolvenzgerichts − etwa drei Monate nach dem tatsächlichen Insolvenzantrag − in die Statistik einfließen, liegen derzeit nur die endgültigen Zahlen für August vor: Die Amtsgerichte melden einen Zuwachs der beantragten Unternehmensinsolvenzen im Vergleich zum Vorjahr von 13,4% auf 1.764. Die Forderungen der Gläubiger bezifferten die Amtsgerichte dabei auf rund 2,4 Mrd. Euro. Im Vorjahr waren es rund 1,8 Mrd. Euro. Die Zahl der Verbraucherinsolvenzen hingegen gab um 2,9% zum Vorjahr auf 5.672 nach.

Osten stark betroffen

„Wegbrechende Nachfrage aus dem In- und Ausland, hohe Kosten für Energie und Fachkräfte, erhebliche Belastungen durch Steuern und Bürokratie – all das drückt auf die Geschäftsaussichten und die Finanzlage“, betont DIHK-Mittelstandsexperte Marc Evers. „Immer mehr Unternehmen geht die Luft aus" - insbesondere im Osten, wo fast jeder zweite Betrieb von finanziellen Schwierigkeiten berichte. In Deutschland insgesamt sind es 41%. Kleine und mittelgroße Unternehmen, die die östlichen Wirtschaftsregionen prägen, beklagten häufiger finanzielle Probleme als größere Unternehmen. Das Muster zieht sich Evers zufolge nahezu durch alle Branchen. Für das Gesamtjahr rechnet die DIHK mit deutlich mehr als 20.000 Unternehmensinsolvenzen.

Der VID erwartet, dass sich die Unternehmensinsolvenzen auch im kommenden Jahr auf einem hohen Niveau bewegen werden. "Die fehlende Handlungsfähigkeit der Bundesregierung und die ungewisse Dauer der Regierungsbildung nach den Neuwahlen lässt wichtige Gesetzesvorhaben ins Stoppen geraten, auch gerade solche auf die die deutsche Wirtschaft dringend wartet. Dies könnte sich auch auf die Insolvenzzahlen auswirken“, so der VID-Vorsitzende Christoph Niering.

5,1 Fälle je 10.000 Firmen

Am stärksten von Insolvenzen betroffen war erneut der Wirtschaftsabschnitt Verkehr und Lagerei mit 9,2 Fällen je 10.000 Firmen. Danach folgten das Gastgewerbe mit 7,8 Insolvenzen und die sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen - zu denen etwa Zeitarbeitsfirmen gehören - mit 7,3 Fällen sowie das kriselnde Baugewerbe mit 7,2 Insolvenzen. Bezogen auf 10.000 Unternehmen gab es in Deutschland insgesamt 5,1 Unternehmensinsolvenzen im August.

Der VID sieht vor allem den Immobiliensektor und die Automobilzulieferindustrie wegen der schwachen Nachfrage weiter im Fokus. Die Zinssenkung der Europäischen Zentralbank dürften mittelfristig zu einer Verbesserung der Lage in der Immobilienwirtschaft beitragen. Noch aber spürten insbesondere kleinere Projektentwickler und Bauunternehmen weiter den Druck hoher Finanzierungskosten, zurückhaltender Investoren und gedämpfter Nachfrage. Es gebe aber auch erste Anzeichen einer Entlastung. Die Automobilzulieferindustrie werde vor allem von der schwachen Nachfrage, besonders nach deutschen Luxusautomobilen und insbesondere in Schlüsselmärkten wie China, belastet.

Die aktuelle Krise der Automobilindustrie spiegelt sich auch in der sinkenden Arbeitskräftenachfrage wider, erklärt Ifo-Experte Oliver Falck. Diese habe aktuell einen Tiefstand erreicht. So war die Anzahl der Stellenanzeigen im Oktober 2024 um 53% niedriger als im August 2023, wie Auswertungen des Ifo Instituts und der Online-Jobbörse Indeed von etwa 1,6 Millionen Stellenanzeigen von knapp 2.400 Unternehmen der deutschen Automobilbranche zeigen. Während Firmen mit Fokus auf Elektromobilität im Dezember 2023 noch fast doppelt so viele offene Stellen gemeldet hatten wie Firmen mit Verbrennerfokus. Diese Differenz ist inzwischen auf 41 Prozentpunkte gesunken.
 
„Der Rückgang der Stellenausschreibungen verdeutlicht, dass sich die Transformation hin zur Elektromobilität in den letzten Monaten drastisch verlangsamt hat“, erklärt Falck. Lediglich während der Corona-Pandemie Mitte 2020 sei das Gesamtniveau der Stellenausschreibungen noch geringer gewesen als gegenwärtig. Auf Elektromobilität spezialisierte Firmen hätten ihre Nachfrage für neue Mitarbeitende in den Bereichen IT, Software und Entwicklung weniger stark zurückgefahren als Firmen mit Verbrennerfokus. Für Letztere wiederum sei der Rückgang bei Stellenanzeigen in der Produktion und Logistik geringer, analysiert Annina Hering, Arbeitsmarktexpertin bei Indeed.
 
Moritz Goldbeck, Ko-Autor der Studie, sagt: „Unternehmen mit einem Verbrennerfokus konzentrieren sich derzeit auf die Produktion und weniger auf Entwicklung und Digitalisierung. Diese Bereiche sind jedoch entscheidend in der Transformation.“

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