Insolvenzanstieg verlangsamt sich
Insolvenzanstieg verlangsamt sich
Erstmals seit einem Jahr wieder einstellige Zuwachsrate − IWH-Insolvenztrend zeigt zweiten Rückgang in Folge
Der Anstieg bei den Unternehmensinsolvenzen verlangsamt sich im Juni. Erstmals seit einem Jahr ist die Zuwachsrate einstellig. Ein Entspannungssignal ist dies aber noch nicht. Frühindikatoren zeichnen ebenfalls noch kein klares Bild für den Sommer. Experten erwarten kräftig steigende Fallzahlen für das Gesamtjahr.
ba Frankfurt
Im Juni ist die Zahl der Firmenpleiten erstmals seit einem Jahr nicht mehr mit einer zwei-, sondern mit einer einstelligen Zuwachsrate gestiegen. Nachdem allerdings die Konjunktur weiter lahmt und auch Frühindikatoren keine eindeutigen Entspannungssignale senden, warnen Experten, diese Entwicklung als Wende zum Besseren zu werten.
Im Juni kletterte die Zahl der beantragten Regelinsolvenzen in Deutschland um 6,3% im Jahresvergleich, wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilte. Im Mai lag die Jahresrate noch bei 25,9% nach 28,5% im April und 12,3% im März. „Damit lag erstmals wieder ein einstelliger Zuwachs vor“, nachdem seit Juni 2023 durchgängig zweistellige Zuwachsraten im Vorjahresvergleich zu beobachten waren, betonten die Statistiker.
Höhere Zahlen erwartet
Experten erwarten, dass in diesem Jahr deutlich mehr Unternehmen insolvent werden als im vergangenen Jahr. Die Auskunftei Creditreform etwa rechnet mit einem Wert zwischen 20.000 und 22.000 nach 18.020 Insolvenzen im vergangenen Jahr. Ursprünglich lag die Prognose allerdings bei 19.000 − mit Blick auf die 11.000 Insolvenzen allein im ersten Halbjahr hatte Creditreform diese erhöht. Denn dies war ein Anstieg von 30% und der höchste Wert seit 2015.
Die Restrukturierungsberatung Falkensteg beziffert in einer Auswertung für das „Handelsblatt“ den Anstieg der Insolvenzen von Großunternehmen mit einem Umsatz über 10 Mill. Euro für das erste Halbjahr mit 41% auf 162. Lediglich 2020 habe es mit 173 Fällen mehr Großinsolvenzen in den vergangenen zehn Jahren gegeben. Zugleich sei die Erfolgsquote bei Sanierungsversuchen gesunken. Für das Gesamtjahr sei ein Anstieg von mindestens 40% zum Vorjahr zu erwarten – ein Trend, der voraussichtlich auch 2025 anhalten werde. Für 2023 hatte Destatis insgesamt 17.814 Firmenpleiten gemeldet. Zum Vergleich: im Vor-Corona-Jahr 2019 waren es 18.749 und in der globalen Finanzkrise 2009 kam es zu 32.687 Unternehmensinsolvenzen.
DIHK-Mittelstandsexperte Marc Evers rechnet damit, „dass in diesem Jahr erstmals seit 2017 die Marke von 20.000 Unternehmenspleiten sogar durchbrochen werden könnte“. Eine schwache Binnenkonjunktur und handfeste strukturelle Herausforderungen hielten die Wirtschaft im Griff. Christoph Niering, der Vorsitzende des Berufsverbandes der Insolvenzverwalter und Sachwalter Deutschlands (VID), verweist darauf, dass die wohl noch bis 2025 hinein schwache Konjunktur derzeit viele Unternehmen bei Investitionen zögern lasse. „Langfristige Trends wie Digitalisierung und KI deuten in eine Zukunft, in der viele kapitalintensive Maßnahmen überflüssig werden könnten.“ In dieser Situation wolle „niemand in Dinge investieren, die vielleicht schon bald nicht mehr gebraucht werden“.
Auch deutlich mehr Verbraucherinsolvenzen
Nachdem die Regelverfahren erst nach der ersten Entscheidung des Insolvenzgerichts − etwa drei Monate nach dem tatsächlichen Insolvenzantrag − in die Statistik einfließen, liegen die endgültigen Zahlen erst für April vor. Die Amtsgerichte meldeten für diesen Monat einen Anstieg der Fallzahlen um 33,5% zum Vorjahr auf 1.906. Die dabei entstandenen Gläubigerforderungen beziffern die Amtsgerichte auf rund 11,4 Mrd. Euro. Im Vorjahr waren es rund 1,3 Mrd. Euro. Die Zahl der Verbraucherinsolvenzen stieg gleichfalls kräftig, und zwar um 27,9% zum Vorjahr.
IWH meldet zweiten Rückgang in Folge
Das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) hatte zu Beginn der Woche für Juni einen Rückgang der Insolvenzen von Personen- und Kapitalgesellschaften um 8% zum Vormonat auf 1.169 gemeldet. Dies ist der zweite Rückgang in Folge, doch liegt die Fallzahl damit 11% über dem Vorjahreswert und übertrifft den Juni-Durchschnitt der Vor-Corona-Jahre 2016 bis 2019 um 24%. In den größten 10% der Unternehmen, deren Insolvenz im Juni gemeldet wurde, waren laut IWH-Insolvenztrend gut 9.500 Arbeitsplätze betroffen, also etwas weniger als im Mai. Zum Vergleich: In einem durchschnittlichen Juni der Jahre vor der Corona-Pandemie waren etwa 11.000 Beschäftigte betroffen.
Frühindikatoren geben kein klares Signal
Die vom IWH erhobenen Frühindikatoren, die dem Insolvenzgeschehen um etwa zwei bis drei Monate vorausgehen, zeichnen für den Sommer kein klares Bild. „Wir rechnen damit, dass die Insolvenzzahlen im Juli wieder leicht nach oben gehen werden“, sagte IWH-Experte Steffen Müller. Denn die Werte der Frühindikatoren waren zwischen Januar und April deutlich gesunken, im Mai gestiegen und im Juni nun wieder gesunken. Für die weiteren Monate zeichne sich daher noch kein stabiler Trend ab, so Müller.
Rückgang in allen Branchen
Mit Blick auf die Branchen sei der Rückgang bei den Insolvenzen in der Breite angekommen, heißt es beim IWH weiter. „So lagen im Juni die Zahlen in allen Branchen zum Teil deutlich unter dem jeweiligen Höchstwert der vergangenen Jahre“, der in vielen Branchen im April 2024 erreicht worden war. Laut Destatis war im April erneut der Bereich Verkehr und Lagerei am stärksten von Insolvenzen betroffen − mit 10,1 Fällen je 10.000 Firmen. Danach folgten das Baugewerbe und die sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen − zu denen etwa Zeitarbeitsfirmen gehören − mit je 8,5 Fällen. Insgesamt gab es im April 5,5 Pleiten, bezogen auf 10.000 Unternehmen.
Kommentar zum Insolvenzanstieg
Kommentar Seite 2