Konjunktur

Institute warnen vor Rezession bei Gaslieferstopp

Die deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute haben ihre Wachstumsprognose für das laufende Jahr von 4,8 auf 2,7% gesenkt und warnen vor einer schweren Rezession im Falle eines russischen Energieembargos.

Institute warnen vor Rezession bei Gaslieferstopp

Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute warnen vor einer schweren Rezession und der höchsten Inflation seit Bestehen der Bundesrepublik im Falle eines Stopps russischer Gaslieferungen. Das Bruttoinlandsprodukt dürfte in diesem Jahr bei normaler Versorgung um 2,7% zulegen, heißt es in der am Mittwoch veröffentlichten Frühjahrsprognose für die Bundesregierung. Im Herbstgutachten waren noch 4,8% veranschlagt worden. „Die Erholung von der Corona-Krise wird infolge des Kriegs in der Ukraine gedämpft, behält aber die Oberhand“, sagte der Vizepräsident und Konjunkturchef des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Stefan Kooths. „Für 2023 wurde die Vorhersage dagegen von 1,9 auf 3,1% angehoben.

Bei einem sofortigen Stopp russischer Gaslieferungen sieht das Konjunkturbild allerdings sehr viel düsterer aus. Dann dürfte die Wirtschaft in diesem Jahr nur um 1,9% zulegen, 2023 dann sogar um 2,2% schrumpfen. „Bei einem Stopp der Gaslieferungen droht der deutschen Wirtschaft eine scharfe Rezession“, warnte Kooths. In beiden Jahren stünden dann insgesamt 220 Mrd. Euro an Wirtschaftsleistung im Feuer. „Wirtschaftspolitisch käme es dann darauf an, marktfähige Produktionsstrukturen zu stützen, ohne den Strukturwandel aufzuhalten“, sagte Kooths. Hilfen für private Haushalte zum Abfedern hoher Energiepreise sollte die Politik sehr zielgerichtet dosieren. „Werden solche Hilfen auf breiter Front ausgereicht, treibt das zusätzlich die Inflation und torpediert den wichtigen Lenkungseffekt höherer Energiepreise“, warnte der Ökonom. Das verschärfe wiederum die Probleme einkommensschwacher Haushalte.

Keine Entspannung bei den Preisen

Für die Verbraucher haben die Ökonomen vorerst keine guten Nachrichten parat. Demnach werden die Preise in diesem Jahr mit durchschnittlich 6,1% so stark anziehen wie seit 40 Jahren nicht mehr. „Im Falle eines Lieferstopps für russische Energie würden sogar 7,3% erreicht, der höchste Wert seit Bestehen der Bundesrepublik“, so die Prognose. Auch im kommenden Jahr dürfte die Rate mit 2,8% – oder 5,0% im Falle eines Lieferstopps – deutlich über dem Durchschnitt seit der Wiedervereinigung liegen.

Die Zahl der Arbeitslosen soll in diesem Jahr um rund 300.000 auf knapp 2,3 Millionen sinken und 2023 auf diesem Niveau verharren. Kommt es zum Gaslieferstopp, wird jedoch mit einem Anstieg der Arbeitslosenzahl auf fast 2,8 Millionen im nächsten Jahr gerechnet.

Die sogenannte Gemeinschaftsdiagnose der Institute dient der Bundesregierung als Basis für ihre eigenen Projektionen, die wiederum die Grundlage für die Steuerschätzung bilden. Erarbeitet wurde das Gutachten mit dem Titel „Von der Pandemie zur Energiekrise – Wirtschaft und Politik im Dauerstressfeder“ führend vom RWI in Essen, vom DIW in Berlin, vom Ifo-Institut in München, vom IfW in Kiel und vom IWH in Halle.

Gratwanderung der Notenbanken

Von einer „schwierigen Gratwanderung“ sprechen die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute Im Hinblick auf die Notenbanken vor dem Hintergrund der hohen Inflation und den eingetrübten Konjunkturaussichten. Mit dem Kriegsausbruch in der Ukraine hätten sich die wirtschaftlichen Perspektiven verschlechtert und zugleich sei der inflationäre Druck spürbar erhöht. „Damit steht die Geldpolitik vor einem Zielkonflikt zwischen Preis- und Produktionsstabilisierung, wie er in ähnlicher Weise im Zuge der beiden Ölpreisschocks 1973 und 1979 aufgetreten war”, heißt es.

Die Institute erwarten, dass der US-Leitzins schrittweise bis auf 2,75% im vierten Quartal 2023 angehoben wird. Die Europäische Zentralbank würde ihre Geldpolitik dagegen „zaghafter” straffen. Mit einer Anhebung der Leitzinsen im Euroraum sei erst für das vierte Quartal dieses Jahres zu rechnen. 2023 werde der Hauptrefinanzierungssatz dann voraussichtlich weiter bis auf 1,0% erhöht werden, sagen die Forscher voraus.

Die Europäische Zentralbank (EZB) entscheidet an diesem Donnerstag wieder über den Leitzins. Beobachter erwarten, dass die Währungshüter vorerst in Wartestellung bleiben. Der sogenannte Einlagesatz – eine Art Strafzins für das Horten von Geld bei der EZB – liegt seit Jahren bei – 0,5%, während auch der Leitzins auf dem Rekordtief von 0,0% verharrt. Der EZB-Rat hält sich die Tür für eine Erhöhung aber offen. Er steht bereit, „alle seine Instrumente” bei Bedarf anzupassen. Damit will er sicherstellen, dass sich die Inflation mittelfristig bei der Marke von 2,0% stabilisiert. Zuletzt war die Teuerung mit 7,5% aber weit über den Zielwert hinausgeschossen.

Vorsicht bei Hilfspaketen

Was die Hilfspakete der Politik für Verbraucher und Unternehmen zur Dämpfung der steigenden Energiepreise und der Sanktionsfolgen anbelangt, so mahnen die Institute zu einer vorsichtigen Dosierung, um die Inflation nicht weiter anzuheizen. „Werden solche Hilfen auf breiter Front ausgereicht, treibt das zusätzlich die Inflation und torpediert den wichtigen Lenkungseffekt höherer Energiepreise. Das verschärft wiederum die Probleme einkommensschwacher Haushalte und erhöht die gesamtwirtschaftlichen Kosten“, erklärte IfW-Chef Kooths. Schon jetzt erwarten die großen Institute für 2022 eine Inflationsrate von 6,1%, den höchsten Wert seit 40 Jahren.

Eckwerte der Prognosen für Deutschland

Angaben in ProzentSachverständigenratForschungsinstitute
2022202320222023
Wirtschaftswachstum1,83,62,73,1
Arbeitslosenquote5,14,95,05,0
Finanzierungssaldo Staat–2,6–2,2–1,4–0,7
Inflationsrate6,13,46,12,8

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