Issing: „Was Draghi als Lösung bietet, ist nicht neu, aber erschreckend“
Otmar Issing kritisiert das Draghi-Gutachten scharf
mpi/wrü Frankfurt
Der frühere Chefökonom der EZB, Otmar Issing, hält nichts vom Vorschlag des ehemaligen EZB-Präsidenten Mario Draghi, gemeinsame europäische Schulden aufzunehmen. Dies hatte der Italiener am Montag in einem Bericht an die EU-Kommission ins Spiel gebracht. „Was er als Analyse bietet, ist erschreckend, aber nicht neu, was er als Lösung bietet, ist nicht neu, aber erschreckend“, kritisierte Issing am Dienstagabend in Frankfurt bei der Vorstellung seines Buches „Von der D-Mark zum Euro – Erinnerungen des Chefökonomen“. Draghi spricht sich für eine gemeinsame Verschuldung aus, um somit Investitionen anzukurbeln, die die schwächelnde internationale Wettbewerbsfähigkeit Europas stärken sollen.
Auch an die derzeitigen EZB-Ratsmitglieder richtete der inzwischen 88-jährige Ökonom mahnende Worte: Die Notenbanker sollten sich ausschließlich auf das Ziel der Preisstabilität konzentrieren. „Je mehr die Notenbanken ihr Mandat überschreiten, desto mehr gefährden sie ihre Unabhängigkeit. Desto weniger werden sie sich mit einer Geldpolitik durchsetzen, die für die Stabilität der Währung notwendig ist“, sagte der erste Chefökonom in der Geschichte der EZB. Mit anderen Worten: Nach Meinung Issings sollte es nicht Aufgabe der EZB sein, das Klima zu retten. Das sieht er als eine Aufgabe der Politik an.
Forward Guidance ist gescheitert
Volker Wieland, Direktor des Institute for Monetary and Financial Stability an der Goethe-Universität Frankfurt, zeigte auf der Veranstaltung zudem auf, was sich bei der EZB-Zinspolitik seit der Gründung der Notenbank geändert hat. Früher, auch in der Ära Duisenberg/Issing, habe die EZB die Leitzinsen frühzeitig erhöht, bevor die Inflation deutlich angestiegen sei. So sei es der Notenbank gelungen, die Teuerung in Schach zu halten. Als dann aber die Inflation ab 2021 anstieg, habe die EZB erst sehr spät reagiert. Wieland führte dies auf die von der EZB im Juli 2021 beschlossene Strategie der „Forward Guidance“ zurück. Diese Strategie sei, wie Christine Lagarde selbst eingeräumt habe, gescheitert.
Issing hat bei der Präsentation seiner Erinnerungen nicht nur zahlreiche Einblicke in seine Zeit der EZB und der Bundesbank gegeben. Zum Verhältnis zwischen Universität und Bundesbank sagte er: „Ich hatte Schwierigkeiten zu ertragen, wie lange Professoren streiten können, um Dinge, die völlig unerheblich sind.“
Solange Otmar da ist
Die Einführung des Euros war mit sehr viel Skepsis verbunden. EZB-Präsident Jean-Claude Trichet interessierte sich damals, was Issings Mutter dazu sagte. Die 95-jährige, die in einem Altersheim lebte, sagte: „Ich halte von dem Euro auch gar nichts. Aber solange der Otmar da ist, wird es gut gehen.“