SERIE: REFORMPOLITIK IN DER EUROZONE (6) - ITALIEN

Italien arbeitet seine Reformliste ab

Innerhalb von zwei Jahren zwölf Projekte vorgesehen - Politische Hürden und Gewerkschaften bremsen

Italien arbeitet seine Reformliste ab

Der italienische Regierungschef Matteo Renzi hat seinem Land eine umfangreiche Reformagenda verschrieben. Von den innerhalb von zwei Jahren geplanten zwölf großen Projekten ist bereits etwas mehr als die Hälfte beschlossen. Die dabei erreichten Verbesserungen hätten aber nach Ansicht von Kritikern größer ausfallen können, hätte es nicht so harten Widerstand von Seiten der Gewerkschaften und auch in der Regierungskoalition gegeben.Von Thesy Kness-Bastaroli, MailandItalien will von der EU-Kommission mehr Flexibilität in der Bewertung seiner Neuverschuldung fordern. Der italienische Wirtschafts- und Finanzminister Pier Carlo Padoan begründete diesen Wunsch mit der Reformdynamik Roms, welche jene der anderen Länder übertreffe. Im Zeitraum 2015/2016 will Italien zwölf große Reformen durchführen. Mehr als die Hälfte davon wurde bereits verabschiedet.Ursprünglich sieht Italien für 2015 eine Neuverschuldung von 2,6 % gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) vor, die 2016 auf 1,8 % gesenkt werden soll. Noch wurden die Flexibilitätsforderungen der Regierung nicht formuliert. Angeblich soll ein Dach von bis zu 3 % beantragt werden.Die längste Wirtschaftsrezession der Nachkriegszeit scheint endlich vorbei. Doch die Erholung, so sie erreicht wird, ist zaghaft: Italiens BIP soll 2015 um 0,7 bis 0,8 % wachsen, weniger als im EU-Schnitt. Die von dem seit Februar 2014 amtierenden Regierungschef Matteo Renzi eingeleitete Reformpolitik zeigte bislang kaum Auswirkungen auf das Wachstum. Zweifellos waren der Geldsegen und die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank, der schwache Euro und der niedrige Erdölpreis ausschlaggebend für die Trendwende. Der Präsident des Verbandes der börsennotierten Unternehmen Assonime, Stefano Micossi, ist überzeugt, dass sich die bislang verabschiedeten Reformen mittelfristig positiv auf Wachstums- und Beschäftigungspolitik auswirken werden. Nach zwanzigjährigem Reformstillstand war eine Reform des Arbeitsmarktes, der öffentlichen Institutionen, Schule und Justiz sowie der öffentlichen Verwaltung dringend notwendig, um das Gefälle Italiens zu den anderen Euro-Ländern zu verringern. Micossi räumte ein, dass bei den bislang durchgeführten Reformen nicht immer das Optimum erreicht worden sei. Doch dies sei auch auf den politischen Widerstand und den Protest der Gewerkschaften zurückzuführen. Weniger befristete StellenVielfach hat Renzi die Verabschiedung der Reformen an die Vertrauensfrage im Parlament geknüpft: Er drohte des Öfteren mit seinem Rücktritt. So kämpfte die Regierung bei der Ende 2014 verabschiedeten Arbeitsmarktreform “Jobs Act” nicht nur gegen den Widerstand der Gewerkschaften und der Opposition, sondern auch gegen Proteste aus dem eigenen Partito Democratico. Die im März in Kraft getretene Reform erleichtert Kündigungen und sieht Steuerbegünstigungen für Unternehmer vor, wenn sie Leute fest einstellen. Weil es zuvor fast unmöglich gewesen war, Arbeitnehmer zu entlassen, hatten in den vergangenen Jahren viele Firmen nur noch Zeitarbeitsverträge abgeschlossen.Die neuen Bestimmungen haben sich noch nicht auf die allgemeine Arbeitslosenquote ausgewirkt, die im Mai 12,7 % erreichte. Die Jugendarbeitslosenquote verzeichnete mit 44 % den höchsten Stand seit acht Jahren. Doch die Zahl der zeitlich befristeten Arbeitsverträge beginnt sich zugunsten der unbefristeten Anstellungen zu verringern.Im vergangenen Jahr hat Renzi auch mit einem bis Ende 2016 laufenden monatlichen Bonus von 80 Euro für niedrige Einkommensschichten einen ersten Schritt zur Steuerreform gemacht. Auch wurde die Unternehmensbesteuerung erleichtert. Der Regierungschef hat nun für die kommenden drei Jahre Steuereinsparungen von 50 Mrd. Euro versprochen. Wie dieses ehrgeizige Programm finanziert werden soll, steht noch in den Sternen. Details werden im kommenden Herbst erwartet. Stabilere MehrheitenIm vergangenen Frühjahr hat Italiens Premier das Wahlrecht nun endgültig reformiert. Die Neuerung, an der schon mehrere Regierungen vor ihm gescheitert waren, soll dank des Mehrheitsbonus für die Gewinnerpartei in Zukunft stabilere Regierungen ermöglichen. Nach dem neuen Gesetz bekommt das Wahlbündnis, das mindestens 40 % der Stimmen hat, in Zukunft 340 der 630 Sitze in der Abgeordnetenkammer. Wenn kein Bündnis diese Hürde schafft, gibt es eine Stichwahl. Die anderen Sitze werden proportional unter den Parteien verteilt, welche die Dreiprozenthürde schaffen. Die Stellung des Senats wurde durch die im Gang befindliche Verfassungsreform geschwächt. Diese soll Anfang 2016 die parlamentarische Hürde nehmen. Der Widerstand dagegen ist nicht nur bei der Opposition, sondern auch innerhalb der Regierungspartei groß. Es ist eine politische Kraftprobe zu erwarten. Bankensektor in BewegungIm Frühjahr wurde auch die Reform der Volksbanken verabschiedet. Sie soll eine Konsolidierung und Modernisierung des italienischen Bankwesens einleiten. Dieses ist mit rund 700 Kreditinstituten stark fragmentiert. Die größeren Volksbanken sollen in Aktiengesellschaften umgewandelt werden und sich mit anderen Banken – auch zur Stärkung ihrer Kapitaldecke – zusammenschließen. Italiens Bankensektor ist in Bewegung geraten. Doch die monatelangen Verhandlungen mit der EU-Kommission in Brüssel zur Einführung einer Bad Bank “light” konnten bislang noch nicht abgeschlossen werden. Italiens Banken sitzen auf einem Berg von knapp 200 Mrd. Euro an Problemkrediten, 10 % aller Ausleihungen. Um das Problem der Non-Performing Loans zu lindern, hat die Regierung eine Änderung des Konkursrechtes beschlossen und die Abschreibebedingungen der Banken für Problemkredite an europäisches Niveau angeglichen.Mehreinnahmen von rund 4 Mrd. Euro erwartet sich Rom noch 2015 durch die Privatisierung der Poste Italiane. 2016 soll das Privatisierungsprogramm mit dem Verkauf von Anteilen an der Staatsbahn FS und der Flugbehörde Enav fortgesetzt werden.Ab Herbst tritt auch die Schulreform in Kraft. Diese sieht u.a. vor, dass die Lehrergehälter nicht mehr automatisch in Dreijahressprüngen steigen. Sie werden auf ein Basiseinkommen und eine leistungsabhängige Prämie umgestellt. Schuldirektoren, als weitgehend autonome Chefs, werden von Verwaltungsgremien und nicht mehr von regionalen (Politik-)Gremien ausgesucht. Anfang August hat das Parlament auch den Umbau der öffentlichen Verwaltung mit einer Straffung der 8 000 Körperschaften mit Staatsbeteiligung verabschiedet. 100 Provinzen werden abgeschafft, Beamte werden künftig auch nach Leistung bezahlt und Kündigungen erleichtert. Übrigens hat Renzi auch eine Obergrenze für die Gehälter der Top-Manager in den Staatskonzernen eingeführt.—-Zuletzt erschienen:- Belgien (19. August)- Portugal (21. August)- Niederlande (26. August)- Nächster Teil: Die baltischen Länder