IWF & Co. setzen Impfstoffhersteller unter Druck
rec Frankfurt
Angesichts der ungleichen Verteilung von Impfstoffen geraten Hersteller wie die deutsche Firma Biontech und deren Kooperationspartner Pfizer unter Druck. Führende internationale Organisationen um den Internationalen Währungsfonds nehmen die Produzenten in die Pflicht, ihre Lieferverträge zu veröffentlichen. IWF-Chefin Kristalina Georgiewa sagte in einer virtuellen Podiumsdiskussion mit ihren Kollegen von Weltbank, Welthandelsorganisation und Weltgesundheitsorganisation, das Quartett sei sich einig, dass die Hersteller ihre vereinbarten Zeitpläne für Lieferungen an einzelne Empfänger offenlegen müssten. Zugleich kocht die Kontroverse über eine Patentfreigabe angesichts monatelangen Stillstands hoch.
Es ist nicht das erste Mal, dass die vier Vertreter verschiedener Disziplinen der Weltwirtschaft gemeinsame Sache machen. Vielmehr hat das konzertierte Vorgehen von Internationalem Währungsfonds (IWF), Weltbank, Welthandelsorganisation (WTO) und Weltgesundheitsorganisation (WHO) in der Pandemie Methode. Anfang Juni lancierten sie einen 50-Milliarden-Dollar-Plan, um bis Mitte nächsten Jahres einen Großteil der Weltbevölkerung zu impfen. Kurz darauf legten die Spitzen der vier Organisationen mit Sitz in Washington (IWF, Weltbank) und Genf (WTO, WHO) nach, indem sie eine Taskforce für Impfstoffe, Behandlung und Diagnose von Covid-19 in Entwicklungsländern ins Leben riefen. In einer gemeinsamen Erklärung zeigten sie sich „tief besorgt“ über die Unterversorgung von Entwicklungsländern und mahnten „dringliches Handeln“ an.
Emotionaler Patentstreit
Passiert ist seitdem derart wenig, dass WHO-Chef Tedros Ghebreyesus und andere Kritiker im Vorgehen westlicher Staaten eine moralische Bankrotterklärung sehen. Betroffene Regierungen sehen das naturgemäß anders. Die Bundesregierung verweist auf ihre Absicht, bis zu 100 Millionen Impfstoffdosen zu spenden, und auf die mehr als 300 Millionen Dosen, die Entwicklungsländer über die globale Impfstoff-Allianz Covax erreicht haben. Was sie freilich nicht erwähnt: Covax liegt weit hinter dem avisierten Zeitplan. Bis Ende des Jahres wollte die Allianz 2 Milliarden Dosen für besonders bedürftige Entwicklungsländer auftreiben und ausliefern. Mit kaum verhohlener Wut kassierten die Verantwortlichen im September ihre Ziele für dieses Jahr. Unterdessen versandet bei der WTO ein von Indien und Südafrika vor einem Jahr initiiertes Vorhaben, den Patentschutz für Corona-Impfstoffe aufzuheben. Bei dem umstrittenen Vorhaben fehlt derzeit jegliche Aussicht auf einen Kompromiss.
Bei dem hochrangigen Panel am Dienstagabend im Rahmen der Jahrestagung von IWF und Weltbank sorgte dieser Umstand dafür, dass die Emotionen hochkochten. Seinen Appell, den Patentschutz für die Zeit von zwei bis drei Jahren auszusetzen, verband WHO-Chef Ghebreyesus mit den Worten: „Die Menschheit versagt kläglich.“ WTO-Chefin Ngozi Okonjo-Iweala sah sich in die Defensive gedrängt, schließlich ist es die Welthandelsorganisation, unter deren Dach die Verhandlungen zwischen Schwellen- und Industrieländern nicht vorankommen. Okonjo-Iweala äußerte sich zuversichtlich, dass es bis zur wichtigen WTO-Ministerkonferenz Ende November eine „pragmatische“ Lösung gibt.
Als Hoffnungsträger für Schwellen- und Entwicklungsländer gelten China und Indien. Allen voran Peking hat im Kampf gegen die Pandemie eine Chance erkannt, mittels neuartiger Impfstoff-Diplomatie seine Einflusssphären weit über Asien hinaus auszubauen. Präsident Xi Jinping gab im Sommer die Parole aus, bis Ende dieses Jahres zwei Milliarden Dosen Corona-Impfstoffe in die Welt zu exportieren. Bis Ende September waren nach jüngsten offiziell verlautbarten Zahlen 1,2 Milliarden Dosen erreicht. Indien hat vor wenigen Tagen nach mehrmonatiger Unterbrechung den Export von Corona-Vakzinen wiederaufgenommen. Erste Lieferungen gingen nach Iran, Bangladesch, Nepal und Myanmar. Indien-Experte Shilan Shah vom Analysehaus Capital Economics rechnet damit, dass das Land im vierten Quartal insgesamt 200 Millionen Dosen Impfstoff ausführen wird.