Fachkräftemangel

Junge Talente lockt man mit Sinnhaftigkeit, Empathie – und Geld

Der Fachkräftemangel ist auf einem Allzeithoch – nicht nur in Deutschland. Die Unternehmen rufen nach der Politik, doch Personalberatern zufolge haben sie vieles selbst in der Hand. Und nicht nur der Lohn ist entscheidend.

Junge Talente lockt man mit Sinnhaftigkeit, Empathie – und Geld

Junge Talente sind Mangelware – und zwar keineswegs nur in Deutschland. Immer mehr Unternehmen in der EU klagen über Engpässe und viele vakante Stellen. Die Schwierigkeiten bei der Mitarbeitersuche dürften in den kommenden Jahren zunehmen. Denn die Babyboomer, die sich bis 2025 überwiegend in den Ruhestand verabschieden, sind kein deutsches Phänomen. Der Ruf aus der Wirtschaft nach politischen Gegenmaßnahmen wird immer lauter. Doch einen Großteil der Arbeit werden die Unternehmen selbst leisten müssen.

Daten der Europäischen Kommission zufolge klagten nie zuvor mehr Unternehmen über den Fachkräftemangel, Tendenz steigend. Inzwischen hat rund ein Drittel der Betriebe Probleme, qualifizierte Mitarbeiter zu finden – sowohl in der Industrie als auch im Dienstleistungssektor. Fast jedes zweite deutsche Unternehmen zählt dazu. Spanien hingegen ist eine Ausnahme: Der Fachkräftemangel betrifft hier nur 8,4% der Betriebe des verarbeitenden Gewerbes und 20,8% der Dienstleister (siehe Grafik). Zwar mag das südeuropäische Land gegenüber seinen nördlichen EU-Partnern Standortvorteile haben (siehe Text auf dieser Seite), doch auch hierzulande lässt sich die Talentsuche mit Erfolg abschließen.

„Der Arbeitsmarkt hat sich in den vergangenen Jahren von einem Arbeitgeber- zu einem Arbeitnehmermarkt gewandelt“, sagt Josef Günthner, CEO von Paltron. Die Personalberatung hat sich auf einen Sektor spezialisiert, in dem händeringend nach qualifizierten (Führungs-)Kräften gesucht wird: auf die IT-Branche und Zukunftstechnologien. „Diese Entwicklung muss in den Köpfen aller Personalverantwortlichen ankommen – sie müssen selbst aktiv werden, wenn sie neue Talente gewinnen möchten.“ Um die Erfolgsaussichten beim Recruiting zu erhöhen, brauche es eine Kombination aus einer „ansprechenden Arbeitgebermarke, attraktiven Arbeitsbedingungen und einer starken Unternehmenskultur“. Auch ein höherer Zweck und die Sinnhaftigkeit der Tätigkeit können Günthner zufolge Talente anziehen.

Ähnliches beobachtet Christian von Schirach von der Finanzmarktberatung ZEB: „Um die Bleibezeiten zu verlängern und perspektivisch weiterhin Talente gewinnen zu können, hilft nur ein Arbeitsumfeld mit hoher Bindungswirkung.“ Investitionen in Teamorientierung und attraktive Zusammenarbeit können sich hier für die Betriebe lohnen. Jungen Talenten seien zudem auch Karriere- und Entwicklungsmöglichkeiten sehr wichtig.

Der „war for talents“ sei ein Krieg, der nicht mit Waffen geführt werde, sondern in dem Empathie, persönliche Bedürfnisse oder auch eine Work-Life-Balance, also ein empfundenes Gleichgewicht aus Arbeitsleben und Freizeit, entscheidend seien, weiß Peter Dienst, geschäftsführender Gesellschafter der IT-Personalberatung Dr. Dienst & Wenzel. Um dem IT-Fachkräftemangel zu begegnen erfordere es eine genaue und individuelle Analyse von Werten, die eine IT-Fachkraft in ihrer täglichen Arbeit suche und die ein Unternehmen ihr bieten könne. „Nur, wenn es gelingt diesen aufwendigen Dialog zu starten und bis zu Ende zu führen, gelingt es eine der wenigen Kräfte anzuwerben“, erklärt Dienst.

Neben Sinnhaftigkeit und einem guten Team dürfte für viele gut ausgebildete Nachwuchskräfte aber vor allem eines entscheidend sein: der Lohn. Einer Yougov-Umfrage im Auftrag des Recruiting-Spezialisten Avantgarde zufolge überzeugen Arbeitgeber ihre Mitarbeitenden vor allem mit guter Bezahlung und Arbeitsplatzsicherheit – ganz besonders in Krisenzeiten wie den aktuellen mit den Folgen einer Pandemie, konjunktureller Unsicherheit und einer viel zu hohen Inflation.

62% aller Befragten – und 64% der Befragten zwischen 18 und 34 Jahren – gaben in der Studie an, dass ein höheres Gehalt ihre Arbeitszufriedenheit positiv beeinflussen würde. Dahinter folgten auf Rang zwei flexiblere Arbeitszeiten. Deutlich weniger Befragte sahen mehr Zufriedenheitspotenzial in interessanteren Arbeitsinhalten, beruflicher Weiterbildung oder der Kinderversorgung. Die weichen Werte mögen für hoch qualifizierte Nachwuchskräfte somit zwar eine wichtige Rolle bei der Wahl des Arbeitgebers spielen – jedoch erst, wenn die harten Fakten wie Gehalt und Arbeitszeiten zufriedenstellend sind.

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