Kein unmittelbarer Handlungsbedarf für die EZB
Zinskompass mahnt EZB zu Geduld
Projektionen der Notenbank könnten nach unten korrigiert werden – Kontroverse Diskussionen im Rat der Notenbank möglich
mpi Frankfurt
Von Martin Pirkl, Frankfurt
Der Deka-EZB-Zinskompass, der exklusiv in der Börsen-Zeitung erscheint, signalisiert keine Dringlichkeit für eine Lockerung der Geldpolitik. Gleichzeitig sieht die Bank Anlass für kontroverse Diskussionen. Ob der EZB-Rat bereits am Donnerstag über den Zeitpunkt der ersten Zinssenkung diskutiert, ist offen.
Bislang hat die Europäische Zentralbank (EZB) auf ihren geldpolitischen Sitzungen über Zinssenkungen nicht mal debattiert. Ob sich dies am kommenden Donnerstag ändert, ist offen. Für Kristian Tödtmann, Leiter des Bereichs Geldpolitik und Kapitalmärkte bei der DekaBank, wird es jedenfalls „ausreichend Gelegenheit zu kontroversen Diskussionen“ geben.
Dabei bezieht er sich auf die Debatte über die Lohnentwicklung im Euroraum. Für das geldpolitisch restriktive Lager („Falken“) im EZB-Rat ist die Zeit noch nicht reif für Diskussionen über Zinssenkungen. Zuvor brauche es erst harte Daten, dass die Lohnentwicklung bei einer Lockerung der Geldpolitik nicht die Rückkehr zum Inflationsziel von 2,0% bis spätestens 2025 verhindere. Die Lohndaten für das erste Quartal liegen jedoch erst im Mai vor.
Debatte über Lohnwachstum
Das andere Lager im EZB-Rat („Tauben“) stützt sich bei seiner Argumentation für eine baldige Zinssenkung nicht nur auf die weiterhin schwache Euro-Konjunktur. Sie verweisen auch darauf, dass ein neu entwickelter „Wage Tracker“ der EZB darauf hindeutet, dass sich das Lohnwachstum im Jahresverlauf verlangsamt. „Die Pressekonferenz könnte einen Eindruck vermitteln, in welcher Konkurrenzbeziehung zueinander diese verschiedenen Daten stehen“, sagt Tödtmann. „Könnte die EZB die Leitzinsen bereits senken, auch wenn die nur quartalsweise vorliegenden harten Lohndaten noch keine Entspannung anzeigen, der Wage Tracker aber auf ein nachlassendes Lohnwachstum im späteren Jahresverlauf hindeutet? In diesem Fall wäre die Notenbank deutlich flexibler.“
Der EZB-Zinskompass der Deka, der vor einer geldpolitischen Sitzung der Notenbank exklusiv in der Börsen-Zeitung erscheint, macht keinen unmittelbaren Bedarf für eine Zinssenkung aus. Die Inflationssäule des Kompasses signalisiert auf lange Sicht eine Rückkehr zum 2-Prozent-Ziel der EZB. „Insofern gibt sie grünes Licht, die Geldpolitik mittelfristig von restriktiv auf neutral anzupassen“, sagt Tödtmann.
Unterschiedliche Signale
Die beiden anderen Säulen sprechen jedoch eine unterschiedliche Sprache. Die Konjunktursäule ist stark negativ und deutet nicht auf eine zeitnahe Erholung der Euro-Konjunktur hin. Auch EZB-Präsidentin Christine Lagarde hatte bereits auf den schwachen Start der Wirtschaft ins neue Jahr hingewiesen. Sie sprach zuletzt jedoch auch von Anzeichen für eine Belebung der wirtschaftlichen Aktivität im späteren Jahresverlauf. Die konjunkturellen Stimmungsindikatoren lieferten derzeit allerdings ein gemischtes Bild. Einem verbesserten Einkaufsmanagerindex steht ein rückläufiges Economic Sentiment gegenüber.
Während die maue Konjunktur für einige Ratsmitglieder sowie für die Deka ein Argument für eine baldige Lockerung der Geldpolitik ist, spricht die Finanzierungssäule des Kompasses dagegen. Sie werfe Zweifel auf, „ob die Geldpolitik wirklich so restriktiv ist“, meint Tödtmann. „So gingen die Außenfinanzierungskosten der Unternehmen zurück, da die Hausse an den Aktienmärkten den Anstieg der Renditen von Unternehmensanleihen mehr als kompensierte.“ Er verweist zudem darauf, dass der Bank Lending Survey (BLS) der EZB dafür spreche, dass die Kreditbedingungen in der näheren Zukunft nicht wesentlich straffer werden sollten. Auch EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel sprach davon, dass die restriktive Wirkung der Geldpolitik ihren Zenit bereits überschritten habe.
Korrektur nach unten
Mit Interesse werden Anleger und Ökonomen am kommenden Donnerstag auch auf die neuen Projektionen der EZB zu Inflation und Wirtschaftswachstum schauen. Tödtmann erwartet bei beiden Werten für das laufende Jahr eine leichte Korrektur nach unten. Er begründet dies mit den teilweise schwachen Konjunkturdaten der vergangenen Monate und der Preisentwicklung für Energie. „Ein nicht zu vernachlässigendes Detail besteht darin, dass die neuen makroökonomischen Projektionen auf einem etwas niedrigeren Leitzinspfad beruhen werden als die Berechnungen vom Dezember.“
Sofern die Prognosen weiterhin eine Konvergenz zum Inflationsziel bis spätestens 2025 anzeigen, würden sie laut Tödtmann somit den Eindruck erhärten, dass die EZB Spielraum für eine Senkung der Leitzinsen habe. „Gleichzeitig signalisieren sie aber auch keine Dringlichkeit für die Lockerung der Geldpolitik, solange die Inflationsvorhersagen nicht signifikant unter das 2-Prozent-Ziel fallen“.