Bundesbank

Keine Parteipolitik bei Weidmann-Nachfolge

Die Bundesregierung sollte sich ein Beispiel an US-Präsident Joe Biden nehmen und den Nachfolger des vorzeitig scheidenden Bundesbankpräsidenten Jens Weidmann nicht parteipolitisch entscheiden.

Keine Parteipolitik bei Weidmann-Nachfolge

US-Präsident Joe Biden hat im November den Vorsitzenden des Federal Reserve Systems, der US-amerikanischen Notenbank, Jerome „Jay“ Powell, für eine zweite Amtszeit nominiert. Powell muss nun noch vom Senat bestätigt werden, was allerdings eine reine Formsache sein dürfte.

Mit seiner Nominierung endeten wochenlange Spekulationen in Washington. Insbesondere der sogenannte progressive Flügel der Demokraten sprach sich gegen eine zweite Amtszeit aus, weil Powell die strenge Regulierung der Banken etwas gelockert hatte. Elizabeth Warren, die ehemalige demokratische Präsidentschaftskandidatin des linken Parteiflügels, ging sogar so weit (und damit zu weit), Jay Powell öffentlich als „gefährlichen Mann“ zu bezeichnen. Politisierung technokratischer Ämter gibt es eben auch am linken Flügel des politischen Spektrums.

Dass Biden an Powell festhielt, ist zu begrüßen, und zwar unabhängig davon, was man im Einzelnen von den Entscheidungen der Powell-Fed halten mag. Denn mit seiner Unterstützung für den Republikaner Powell hat der Präsident eine gute alte Tradition wiederbelebt: Die obersten Geldhüter sollen in einem parteiübergreifenden Prozess er­nannt werden, frei von weltanschaulichen Ideologien. Präsidenten von Jimmy Carter bis Barack Obama bestätigten in schöner Regelmäßigkeit Fed-Vorsitzende, die zuvor von Präsidenten der jeweils anderen Partei ins Amt gesetzt wurden. Erst Donald Trump (wer sonst!) brach mit dieser feinen Gewohnheit. Er verwehrte 2017 der Demokratin Janet Yellen eine zweite Amtszeit und ersetzte sie stattdessen durch einen republikanischen Parteifreund: Jay Powell. Dass Trump später alles daransetzte, Powell öffentlich in bisher noch nie dagewesener Art und Weise zu demontieren, weil dieser eine behutsame Abkehr von der ultralockeren Geldpolitik vollzog, passt dabei ins Bild. Im Sommer 2019 fragte Trump rhetorisch über Twitter: „Wer ist der größere Feind, Jay Powell oder Xi Jinping?“

Und bei uns? Was das Thema Personal angeht, bleibt abzuwarten, ob die neue Bundesregierung bei der Neubesetzung des Postens des Bundesbankpräsidenten ein ebenso ausgleichendes Augenmaß bewahren wird wie Joe Biden. Oder wird auf den „Falken“ Weidmann, als vormals hoher Beamter im Merkel’schen Kanzleramt seinerzeit ja selbst keine ganz unpolitische Benennung, eine geldpolitische „Taube“ aus dem engeren Umkreis von Neukanzler Olaf Scholz folgen?

Hickhack um Lars Feld

Natürlich ist in Deutschland die Politisierung aller Lebensbereiche nicht annähernd so zersetzend wie in Amerika. Aber dennoch mussten wir jüngst auch hierzulande eine wachsende Polarisierung bei der Nominierung eigentlich unpolitischer Positionen beobachten.

Vielleicht ist der parteipolitische Hickhack um die Ernennung des Vorsitzenden des Sachverständigenrates ein Menetekel. Da man sich innerhalb der großen Koalition nicht zu einer erneuten Amtszeit des als ordoliberal geltenden und von der SPD abgelehnten Freiburger Professors Lars Feld durchringen konnte, aber auch keine Einigung über einen alternativen Kandidaten herbeizuführen vermochte, bleibt der Platz des obersten Wirtschaftsweisen eben seither leer. Dieser in der Nachkriegsgeschichte bislang einmalige und peinliche Vorfall macht deutlich, dass auch vormals einvernehmliche Besetzungen apolitischer Technokraten zunehmend in den Sog parteipolitischer Antagonismen geraten. Die Gefahr, dass die Nachfolge von Jens Weidmann ebenfalls ins Fadenkreuz parteipolitischer Diskussionen gerät, ist nicht von der Hand zu weisen. Immerhin findet sie ja wegen der Regierungsbildung im Kontext eines ohnehin politisierten Umfeldes statt.

Gerade in Zeiten steigender Inflationssorgen ist es erforderlich, die Bundesbank nicht zum Spielball der Politik zu machen. Eine symbolisch-personelle Abkehr von der auf Stabilität ausgerichteten Bundesbanktradition wäre dazu geeignet, Erwartungen hinsichtlich zukünftiger Inflationsraten zu beflügeln. Das Risiko einer Lohn-Preis-Spirale könnte rasch Realität werden. Ein glitschiger Pfad, der historisch allzu häufig in der Stagflation endete, also einer galoppierenden Geldentwertung gepaart mit trüberen Aussichten auf dem Arbeitsmarkt.

Die Weidmann-Nachfolge ist keine rein nationale Angelegenheit. Die Regierung sollte auch darauf bedacht sein, nicht an den fein kalibrierten Kräfteverhältnissen im EZB-Rat zu rütteln. Anhänger einer eher expansiv orientierten Geldpolitik sind dort schon heute in einer strukturellen Mehrheit. Zu ihr kann auch Isabel Schnabel, die deutsche Repräsentantin im Exekutivgremium der EZB, ge­zählt werden. Wie in allen gut funktionierenden Institutionen braucht es aber auch in der EZB eine Meinungsvielfalt. Andernfalls droht eine Herdenmentalität, die sich wegen vermeintlicher Alternativlosigkeit um die eigentlich anstehenden richtungsweisenden Entscheidungen herumdrückt. Geldpolitische Fehlurteile werden wahrscheinlicher. Die Zeche würden wir alle zahlen. Vor allem aber die weniger gut situierten Bevölkerungsgruppen, denen sich die neue Kanzlerpartei traditionell besonders verbunden fühlt.

Bei der EZB geht es ohnehin immer politischer zu: Ein Viertel der Ratsmitglieder sind ehemalige Finanzminister; Präsidentin und Vizepräsident inklusive. Die neue Bundesregierung muss der Versuchung einer politischen Nominierung widerstehen. Glücklicherweise verfügt das Land über eine ausreichende Anzahl qualifizierter Ökonominnen und Ökonomen, die mit der vom Bundesbankgesetz verlangten „besonderen fachlichen Eignung“ ausgestattet sind. Von einer besonderen „politischen Eignung“ ist dort freilich nicht die Rede. Wir sollten Bidens Beispiel folgen. Und nicht dem seines polarisierenden Vorgängers im Weißen Haus.

Plädoyer für Joachim Nagel

Der als Favorit gehandelte Jo­achim Nagel wäre deshalb eine gute Entscheidung, seinem SPD-Parteibuch zum Trotz. Durch seine bedeutende Rolle bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), der globalen intellektuellen Zentralbankelite, sowie fast zwei Jahrzehnte als Bundesbanker weist er unzweideutig die notwendigen Qualifikationen nach. Bei Lichte betrachtet sogar mehr noch als Weidmann bei seiner ersten Nominierung 2011. Als Bundesbankvorstand vernahm man von Nagel auch kritische Positionen zu den EZB-Anleihekäufen. Mehr Kontinuität geht nicht. Eine der ersten Amtshandlungen des Kanzlers Scholz sollte sein, in dieser zentralen Personalfrage Klarheit zu schaffen. Die Entscheidung sollte ihm nicht schwerfallen.

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