David Marsh

„Klammheimlich recht willkommen“

Er zählt zu den anerkanntesten Experten für Geldpolitik: Im Interview zeigt sich David Marsh irritiert über die Weigerung der Bundesbank, Währungsreserven weiterzureichen – und spekuliert über die Motive.

„Klammheimlich recht willkommen“

Stefan Reccius.

Herr Marsh, Schwellen- und Entwicklungsländer bekommen zu­sammen 42% der aufgestockten Sonderziehungsrechte des IWF zugeteilt. Reicht diese zusätzliche Liquidität, um Schuldenkrisen in-folge der Pandemie abzu­wenden?

Es geht um eine gerechtere Erholung der Weltwirtschaft. Entscheidend dafür wäre jetzt, die Sonderziehungsrechte aus den Industrieländern in Richtung Süden umzuverteilen. Ländern in Afrika stehen beispielsweise nur 5% der Sonder­ziehungsrechte zu. Es ginge nicht darum, Währungsreserven für alle Zeiten zu verschenken, sondern Entwicklungsländern langfristige Kredite zu Nullzinsen zu gewähren. Dafür macht sich unter anderen der frühere Chef der Bank of England, Mervyn King, stark – eine gewichtige Stimme!

Wie schätzen Sie die Haltung Deutschlands in dieser Frage ein?

Das Bundesfinanzministerium hat sich in der Vergangenheit immer wieder gegen eine Aufblähung der globalen Liquidität gesträubt, aber da hat ein gewisses Umdenken stattgefunden. Heute würde sich die Bundesregierung von sich aus wohl nicht gegen eine international konzertierte Aktion zur Umverteilung von Sonderziehungsrechten an Entwicklungsländer stemmen. Für die Zeit nach der Wahl dürfte die Frage an Intensität gewinnen, besonders wenn die Grünen an der nächsten Bundesregierung beteiligt sind – auch für den Fall, dass Herr Scholz (Bundesfinanzminister und Kanzlerkandidat der SPD) weiterhin eine Rolle spielt.

Der Bundesregierung sind allerdings die Hände gebunden, weil die Bundesbank als Verwalterin der vom IWF zugeteilten Sonderziehungsrechte nicht mitspielt. Können Sie die Weigerung der Bundesbank nachvollziehen?

Weder Deutschland noch irgendein anderes Land des Euroraums hat die zusätzlichen Währungsreserven aus heutiger Sicht nötig. Für Deutschland wirken sie auf den ersten Blick überflüssig wie ein Kropf. Bei näherer Betrachtung fällt auf, dass rein bilanziell für die Bundesbank die neuen SZR als zusätzliche Sicherheiten klammheimlich recht willkommen sein können, um den durch die massiv erhöhten Target-Salden verursachten Risiken in der Auslandsbilanz einigermaßen entgegenzuwirken. Aus dieser Sicht kann man ein gewisses Verständnis für die Zurückhaltung der Bundesbank gegenüber einer Reallokation aufbringen.

Von der Bundesbank heißt es dazu, das Thema Target-Salden habe nichts mit Sonderziehungsrechten zu tun. Sie sperrt sich mit Verweis auf das IWF-Gesetz: Es fehle die rechtliche Grundlage, Sonderziehungsrechte in Form von Krediten weiterzureichen.

Die Bundesbank könnte Sonderziehungsrechte als Nullzinskredite gegen Gold oder andere Sicherheiten weiterreichen an die relativ kleine Anzahl der Entwicklungsländer, die über solche Sicherheiten in ihren Währungsreserven verfügen. So wäre sie juristisch auf einer etwas sicheren Seite. Der IWF arbeitet an einer Reihe internationaler Programme, um einen Teil der SZR-Gesamtallokationen an überschuldete Schwellenländer weiterzureichen. Dabei sind wir bloß im Anfangsstadium.

Sehe Sie noch andere Wege?

Falls die europäischen Länder dies wollten, wäre für die Bundesbank und die anderen EZB-Anteilseignerinnen eine kombinierte SZR-Notenbankumverteilungsaktion an die Schwellenländer über die Europäische Zentralbank (EZB) oder die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) denkbar. Dies würde aber eines Ausmaßes an internationaler Koordinierung bedürfen, das scheinbar heute nicht vorhanden ist.

Das Interview führte

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