Konjunktur

Knappheit knapst Wachstum ab

Zunehmende Materialengpässe bremsen die Industrie und sorgen für steigende Rohstoffpreise. Auch wenn die Effekte als temporär angesehen werden, schüren sie Sorgen um den beginnenden Konjunkturaufschwung in Deutschland.

Knappheit knapst Wachstum ab

Von Alexandra Baude, Frankfurt

Der Welthandel brummt, das Impftempo beschleunigt sich zusehends und der anstehende Sommer lässt die immer noch darbenden Teile des Dienstleistungssektors wie Hotellerie, Gastronomie, Freizeit und Kultur auf kommende Lockerungsschritte hoffen. Die Zeichen stehen gut, dass sich die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr kräftig erholt. Wären da nicht die aktuellen Materialknappheiten. Denn diese bremsen die boomende Industrie und haben in den Zahlen des ersten Quartals bereits Spuren hinterlassen. Auch wenn das Problem als temporär angesehen wird – bis zum Jahresende könnte es durchaus noch ein Thema sein, bis sich die globalen Logistik- und Produktionsketten wieder eingespielt haben. Erst dann wird man auch seriös die letztendlichen Knappheitsfolgen für das Wachstum abschätzen können.

Viele Ursachen

Zu den Knappheiten haben mehrere Effekte beigetragen. Am offensichtlichsten war der zusätzliche Druck bei den ohnehin schon wegen der Corona-Pandemie, stillgelegter Frachtkapazitäten und des unerwartet starken Nachfrageaufschwungs raren und teuren Containern durch die Havarie des Containerschiffs „Ever Given“ im Suezkanal. In den Hochseecontainern stecken neben Gütern für Endverbraucher auch Investitionsgüter und Vorleistungen wie Autoteile. Als weitere Ursache gelten die abrupten Änderungen des globalen Konsumverhaltens während der Pandemie. So hatten Chiphersteller ihre Produktion wegen des Nachfragehochs bei Computern und Smartphones umgestellt. Aber auch der Boom der Kryptowährungen sorgt für eine verstärkte Nachfrage nach Hochleistungschips.

Nachholeffekte erwartet

Die Material- und Vorproduktknappheiten haben trotz gut gefüllter Auftragsbücher im ersten Quartal bereits die Industrieproduktion deutlich belastet. Die Erholung der Wirtschaft ist damit aber nicht in Frage gestellt, sondern nur etwas nach hinten verschoben. Auch wenn es bei betroffenen Unternehmen anders aussehen kann – in der Breite dürften die Folgen nur temporär sein. Denn wenn die Materialien erst einmal wieder verfügbar sind, erwarten Ökonomen kräftige Nachholeffekte und dementsprechend neuen Schub für das Wirtschaftswachstum insgesamt. Nicht nur, dass die hohen Auftragsbestände nach und nach abgearbeitet werden. Auch die Fertigwaren- und Vormateriallager, die angesichts der kräftigen Erholung des Welthandels mittlerweile leergefegt sind, werden wieder auf ein Normalmaß aufgefüllt werden müssen.

Vorerst wird die Produktion in Abhängigkeit vom Materialfluss aber noch recht volatil ausfallen. Denn knapp 10% der hierzulande benötigten Vorleistungen in den Bereichen Computer und Elektronik kommen aus Asien. Experten zufolge kann es bis Mitte 2022 dauern, bis sich Angebot und Nachfrage bei den Halbleitern wieder ausgeglichen haben. Hier haben insbesondere die für die deutsche Wirtschaft so eminent wichtigen Autohersteller das Nachsehen (siehe unten stehenden Bericht). Betroffen ist aber nicht nur das verarbeitende Gewerbe, sondern auch die Baubranche.

Aktuell gibt es eine große Diskrepanz zwischen der Entwicklung der Auftragseingänge und der Produktion. Berechnungen der Commerzbank zufolge lag die Fertigung im März fast 9% unter dem auf Basis der Auftragseingänge der vergangenen Monate berechneten Trend (siehe Grafik). Das Vorkrisenniveau wird immer noch um 6% unterschritten und das kräftige Plus vom März wird vor allem mit der Frühjahrsbelebung auf dem Bau erklärt (vgl. BZ vom 8. Mai). Im Januar und Februar war die Fertigung im jeweiligen Monatsvergleich noch rückläufig.

Im ersten Quartal insgesamt wurde die Produktion um 0,3% gedrosselt, nach einem Plus von fast 7% im Schlussquartal 2020. Für das laufende zweite Quartal rechnen Ökonomen nur mit einem leichten Zuwachs. Der Industrieverband BDI erwartet für das Gesamtjahr 2021 ein Produktionsplus von 8% im verarbeitenden Gewerbe.

Auftragsbestand als Basis

Nährboden für die erwartete Nachholbewegung sind die Auftragseingänge: Seit dem Ende des ersten Lockdowns im Mai 2020 sind die Neubestellungen mit Ausnahme des Dezember Monat für Monat gestiegen. Der Auftragsbestand liegt über dem Vorkrisenniveau und die Reichweite auf dem Rekordhoch von 7,1 Monaten. Die Reichweite gibt an, wie lange bei gleichbleibendem Umsatz und ohne Neubestellungen produziert werden müsste, um die vorhandenen Aufträge abzuarbeiten. Für Zuversicht sorgt auch, dass die Unternehmensstimmung gut und die weltweite Nachfrage nach Produkten „Made in Germany“ hoch ist.