Kontroverse Debatte über EZB-Zinskurs
Kontroverse Debatte über EZB-Zinskurs
Notenbanker schüren Wetten auf Zinsgipfel – Warnungen von "Falken" – Kritik aus Italien, Lob aus Deutschland
Die EZB hat ihre Leitzinsen zum zehnten Mal in Folge erhöht und das mit der weiter zu hohen Inflation begründet. Zugleich wachsen aber die Konjunktursorgen – auch bei Notenbankern. Womöglich ist der Zinsgipfel erreicht, aber sicher ist das nicht. Und der Schritt erhitzt auch die Gemüter in der Politik.
ms Frankfurt
Einen Tag nach der neuerlichen Zinserhöhung der Europäischen Zentralbank (EZB) haben Notenbanker die Erwartung untermauert, dass damit der Zinsgipfel erreicht sein könnte. In diese Richtung äußerte sich unter anderem EZB-Vizepräsident Luis de Guindos. Zwar gab es auch andere Aussagen, die Wetten auf den Zinsgipfel verstärkten sich dennoch. Vor dem Hintergrund nahmen zugleich Spekulationen über Zinssenkungen weiter zu – trotz gegenteiliger Aussagen von EZB-Präsidentin Christine Lagarde, die sie auch am Freitag noch einmal bekräftigte. Unterdessen sorgte die Zinserhöhung weiter für kontroverse Diskussionen – auch in der Politik.
Die EZB hatte am Donnerstag ihre Leitzinsen zum zehnten Mal in Folge erhöht und das mit der weiter zu hohen Inflation begründet. Vor dem Treffen war das Ergebnis völlig offen gewesen – was sehr ungewöhnlich ist. Hintergrund für die Unklarheit ist das Dilemma aus zu hoher Inflation und zunehmenden Konjunktursorgen. Lagarde hatte nach der Sitzung gesagt, dass es eine „solide Mehrheit“ für die Zinserhöhung gegeben habe – was auf einigen Gegenwind hindeutet. Die EZB deutete an, dass jetzt der Zinsgipfel erreicht sein könnte, schloss aber auch weitere Zinserhöhungen nicht aus.
Spekulationen über Zinsgipfel
Am Freitag nun sagte EZB-Vizepräsident de Guindos dem spanischen Radiosender Cope: „Wir glauben, dass die jüngste Erhöhung des Zinsniveaus, wenn es für einige Zeit beibehalten wird, ausreichen könnte, um die Inflation dem 2-Prozent-Ziel anzunähern.“ Noch etwas deutlicher wurde der Notenbankchef Estlands, Madis Müller. Der EZB-Rat habe am Donnerstag klargestellt, „dass nach unserem besten Wissen in den kommenden Monaten keine weiteren Zinserhöhungen zu erwarten sind“, schrieb Müller in einem Blogbeitrag. Die Aussagen sind deutlicher als jene von Lagarde am Donnerstag.
Zwar warnte der Gouverneur der lettischen Zentralbank, Martins Kazaks, dass eine weitere Zinserhöhung noch notwendig sein könnte. „Ich bin mit dem derzeitigen Zinsniveau zufrieden und denke, dass wir auf dem besten Weg sind, in der zweiten Hälfte des Jahres 2025 die 2% zu erreichen“, sagte er zu Reuters. „Aber wenn uns die Daten sagen, dass wir eine weitere Anhebung brauchen, werden wir sie vornehmen.“ Und auch der slowenische Zentralbankchef Bostjan Vasle sagte, dass weitere Zinserhöhungen nicht ausgeschlossen werden könnten.
Trotzdem erwartet nun eine weit überwiegende Mehrheit der Marktteilnehmer und Ökonomen, dass es keine weitere Zinserhöhung mehr geben wird. Seit Juli 2022 hat die EZB ihre Leitzinsen um 450 Basispunkte erhöht und damit so aggressiv wie nie seit Einführung des Euro 1999. Der Leitzins liegt nun mit 4,5% so hoch wie zuletzt 2001 und der Einlagensatz mit 4,0% sogar so hoch wie noch nie.
Wette auf Zinssenkungen nehmen zu
Angesichts des mutmaßlichen Erreichens des Zinsgipfels nehmen nun auch schon wieder die Wetten auf Zinssenkungen zu. Bereits während Lagardes Rede am Donnerstag rechnete der Markt mit etwa drei Senkungen um je 25 Basispunkte im Jahr 2024, wobei die erste bereits im Juni erwartet wurde. Analysten von Citigroup und Barclays erwarten sogar eine Lockerung um 100 Basispunkte. Dabei hatte Lagarde, angesprochen auf mögliche Zinssenkungen, explizit gesagt, das sei „nicht einmal ein Wort (gewesen), das wir ausgesprochen haben“.
Das bekräftigte sie am Freitag nach einem Treffen der Eurogruppe im spanischen Santiago de Compostela: „Ich wiederhole: Wir haben keine Senkung beschlossen, diskutiert oder gar angekündigt.“ Sie sagte, dass die Höhe der Kreditkosten und die Dauer ihres Anstiegs „eine wichtige Rolle spielen werden“, ohne näher darauf einzugehen. Die Euro-Hüter sehen eine länger restriktive Geldpolitik als nötig an, um die Inflation endgültig zu brechen. Das ist nicht das erste Mal, dass Händler und die EZB uneins sind. Das birgt aber Potenzial für Marktturbulenzen.
Die Entscheidung erhitzt auch die politischen Gemüter. Kritik kam aus Italien und Portugal. Italiens Vize-Premier Matteo Salvini attackierte die EZB und sagte, sie „kümmert sich nicht um die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Menschen und Unternehmen“. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hingegen nannte den Schritt wegen der hohen Inflation „nachvollziehbar“. Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire plädierte dagegen ungewohnt offen für eine Ende der Zinserhöhungen. „Genug ist genug“, sagte er in Santiago de Compostela.