Kräftiges Lohnwachstum stellt Zinssenkungen der EZB infrage
Hohe Löhne stellen Zinssenkungen infrage
Kräftiger Anstieg im Euroraum setzt EZB unter Druck – Deutschland sticht hervor – Eventuell weniger Lockerungen in 2025
Der deutlichste Anstieg der Tariflöhne in der Geschichte der Eurozone stellt die EZB vor Herausforderungen. Eine Zinssenkung im Dezember dürfte trotz der Zahlen anstehen. Doch möglicherweise führt das kräftige Lohnwachstum dazu, dass die Notenbank 2025 ein geringeres Tempo bei den Lockerungen einschlägt.
mpi Frankfurt
Die Tariflöhne in der Eurozone sind im dritten Quartal so stark gestiegen wie noch nie in der Geschichte der Währungsgemeinschaft. Aus Daten der EZB vom Mittwoch geht hervor, dass das Lohnwachstum von Juli bis Oktober bei 5,4% lag. Das ist deutlich mehr als noch im Quartal davor und stellt infrage, ob die EZB im kommenden Jahr die Zinsen so kräftig senken kann, wie an den Finanzmärkten spekuliert wird. Im zweiten Quartal hatte das Lohnwachstum noch 3,5% betragen.
Der Lohnentwicklung schenkt die EZB derzeit besondere Beachtung. Vor allem im arbeitsintensiven Dienstleistungssektor führt das kräftige Lohnwachstum als Folge der Reallohnverluste der vergangenen Jahre dazu, dass der Inflationsdruck hoch ist. Deshalb verharrt die Inflationsrate bei Services schon seit langem bei rund 4%. Für ein nachhaltiges Erreichen des Inflationsziels benötigt die EZB in diesem Bereich Fortschritte.
Teuerung dürfte anziehen
Die Euro-Inflation lag im Oktober bei 2,0% – dem Zielwert der EZB. Allerdings erwarten Ökonomen, dass die Teuerung in den kommenden Monaten wieder anzieht. Die Notenbank möchte ihr Inflationsziel im Laufe des kommenden Jahres nachhaltig erreichen. Als mit dem Inflationsziel vereinbar gilt allerdings ein Lohnwachstum von 3% – also eine deutlich geringere Rate, als sie derzeit vorliegt. Die EZB erwartet, dass die Nachholeffekte bei den Löhnen 2025 ausklingen und die Unternehmen zudem niedrigere Margen in Kauf nehmen müssen, da sie die gestiegenen Arbeitskosten nicht im selben Umfang wie 2024 an ihre Kunden weitergeben können.
Höchster Zuwachs seit 30 Jahren
Beim Blick auf die einzelnen Länderdaten sticht Deutschland hervor. Hier lag das Wachstum der Tariflöhne im dritten Quartal bei 8,8%. Das ist der höchste Zuwachs seit über 30 Jahren. Damit treibt die größte Volkswirtschaft der Währungsgemeinschaft die Daten für die Eurozone nach oben. Die Bundesbank erwartet, dass der Höhepunkt erreicht sein dürfte und das deutsche Lohnwachstum im Schlussabschnitt des Jahres nachlässt.
EZB-Chefökonom Philip Lane sagte im Oktober bezogen auf die Entwicklung der Löhne in der Eurozone, dass der robuste Arbeitsmarkt künftig „die Wahrscheinlichkeit erhöht, das Inflationsziel zu erreichen, anstatt chronisch darunter zu bleiben.“
Trotz des kräftigen Lohnwachstums stehen die Zeichen auf Zinssenkung im Dezember. Griechenlands Notenbankpräsident Yannis Stournaras sagte am Montag auf einer Veranstaltung von Bloomberg, dass eine Lockerung zum Jahresschluss um 25 Basispunkte mehr oder weniger beschlossen sei. Mit Blick auf 2025 könnten die neuen Lohndaten jedoch dazu führen, dass die EZB eher ein langsameres Tempo bei den weiteren Lockerungen einschlägt. Denn die Zahlen könnten dazu führen, dass sich der Inflationsausblick der Notenbank verschlechtert.
Auch positives für die EZB
Jedoch gibt es auch positive Nachrichten für die EZB. Die am Dienstag vom europäischen Statistikamt Eurostat veröffentlichten Details zur Euro-Inflation im Oktober geben laut Commerzbank-Ökonom Vincent Starmer Hinweise darauf, dass die Dienstleistungsinflation in den kommenden Monaten spürbar unter die 4% fallen wird. Der Ökonom berechnete eine Inflationsrate für Dienstleistungen ohne die Preise für Restaurantbesuche und Transport. „Diese beiden Inflationskomponenten sind stark durch Rohstoff- und Lebensmittelpreise beeinflusst und folgen daher häufig einem anderen Trend als die restlichen Dienstleistungen“, sagt Starmer. Ohne diese Komponenten lasse die Dienstleistungsinflation bereits spürbar nach. „Dies ist ein Indiz dafür, dass die Dienstleistungspreisinflation als Ganzes in den kommenden Monaten sinken dürfte“, meint er.