Im Interview:Alexander Krüger

„Die Inflationsrisiken lauern von allen Seiten“

Alexander Krüger rechnet mit Quasi-Preisstabilität in den kommenden Monaten. Der Chefökonom der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank warnt im Interview der Börsen-Zeitung jedoch vor zahlreichen Inflationsrisiken.

„Die Inflationsrisiken lauern von allen Seiten“

Herr Krüger, die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass die EZB im September die Zinsen senkt. Ist das nach aktuellem Stand der Dinge für Sie der richtige Schritt?

Ja. Die Inflationsrate wird im August und September fast oder genau 2,0 % betragen. Für die Zeit danach sieht es zwar nicht punktgenau, aber quasi nach Preisstabilität aus. In dieser Gemengelage wird die EZB eine streng restriktiv wirkende Geldpolitik kaum mehr für notwendig halten.

Erwarten Sie einen deutlichen Rückgang des Lohnwachstums in der Eurozone in den kommenden Monaten und vor allem in 2025 und 2026? Oder könnte der demografische Wandel und dessen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt dazu führen, dass sich das Lohnwachstum auf einem hohen Niveau einpendelt?

Das Lohnwachstum wird in diesem Jahr hoch und die Vier vor dem Komma erhalten bleiben. Besserung ist für 2025 in Sicht, da der Inflationsanstieg nur etwas über dem 2%-Preisziel liegen dürfte. Hohe Lohnforderungen werden sich dann schwerer durchsetzen lassen. Die demografische Keule kommt aber erst noch. In ein ruhiges Fahrwasser wird der Lohnanstieg dauerhaft kaum für länger zurückfallen.

Was ist aus Ihrer Sicht derzeit das größte Aufwärts- bzw. Abwärtsrisiko für die Inflation?

Die Inflationsrisiken lauern von allen Seiten. Wegen der verschlechterten geopolitischen Lage bestehen Preisrisiken für kritische Rohstoffe, der Protektionismus nimmt zu. Höhere und neue Zölle scheinen der Zeitgeist zu sein. Auch bezahlbare Energie ist ein Thema. Der Klimawandel sorgt investitionsseitig für Preisdruck, ebenso wie die Aufwendung von Ressourcen für die Regulierung. Und natürlich bleiben Löhne wegen knapper Arbeitskräfte ein Thema. 

Derzeit ist nicht absehbar, warum die Wirtschaft über längere Zeit beständig und klar über dem Trend wachsen soll.

Alexander Krüger

Zuletzt ist eine Reihe an Konjunkturdaten eher enttäuschend ausgefallen, allen voran in Deutschland. Ist die Konjunkturprognose der EZB für den Euroraum zu optimistisch? Und wenn ja, was folgt daraus für die weitere Geldpolitik der Notenbank?

Deutschland ist der Konjunkturbremsklotz im Euroraum, wichtige andere EWU-Länder präsentieren sich meist in robuster Verfassung. Die BIP-Projektion der EZB von 0,9 % für 2024 rangiert im oberen Bereich des Möglichen, für 2025/26 dürfte sie mit 1,4 bzw. 1,6 % zu viel Optimismus enthalten. Derzeit ist nicht absehbar, warum die Wirtschaft dann über längere Zeit beständig und klar über dem Trend wachsen soll. Schraubt die EZB ihre Erwartungen zurück, werden ihr Leitzinssenkungen leichter fallen.

Für wie restriktiv halten Sie im Moment die Geldpolitik der EZB?

Der Einlagesatz liegt derzeit bei 3,75 %. Dort wirkt er eindeutig restriktiv. Unseren Berechnungen zufolge ist das bei 2,75 % nicht mehr der Fall, eventuell auch schon bei 3,00 %. Möchte die EZB dort hinkommen, dürfte sie bei einem behutsamen Vorgehen mindestens bis Mitte 2025 damit beschäftigt sein.

Die EZB beginnt in diesem Sommer mit ihrer Strategieüberprüfung. Welche Anpassungen würden Sie sich wünschen?

Über einen längeren Zeitraum kann die Inflationsrate von keiner Notenbank punktgenau auf ein Preisziel gesteuert werden. Abweichungen liegen daher in der Natur der Sache. Die EZB sollte deshalb ein enges Band um 2,0% legen, da eine Inflationsrate etwa von 2,3% nicht wirklich schlechter ist als eine von 2,0%. Liegt die Inflationsrate in diesem Band, besteht kein Handlungsdruck. Das erleichtert die Mandatserfüllung. Die EZB sollte zudem davon absehen, ihr Preisziel zu erhöhen und die Geldpolitik grüner auszurichten.

Das Interview führte Martin Pirkl.


Die Antworten der anderen Befragten:

Silke Tober, Leiterin des Referats Makroökonomische Grundlagenforschung und Geldpolitik des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung: „Die Risiken für die Finanzmarktstabilität sind hoch“

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