„Kurzarbeit ist unsere stabilste Brücke“
Anna Steiner.
Herr Heil, Deutschlands Arbeitsmarkt ist relativ entspannt durch die Krise gekommen – insbesondere im Vergleich mit anderen großen Volkswirtschaften. Worin liegt Ihre Erklärung dafür?
Ich bin vor allem froh, dass es uns gelungen ist, eine Katastrophe am Arbeitsmarkt in der Coronavirus-Pandemie abzuwenden. Das verdanken wir dem beherzten Einsatz von Kurzarbeit als arbeitsmarktpolitischem Instrument. Kurzarbeit ist nach wie vor unsere stabilste Brücke über ein tiefes wirtschaftliches Tal. Im April 2020 hatten wir bis zu sechs Millionen Menschen in Kurzarbeit. Inzwischen sind die Zahlen glücklicherweise kräftig zurückgegangen, im Juni hatten wir noch 1,6 Millionen Beschäftigte in Kurzarbeit. Bislang haben wir für Kurzarbeit rund 39,7 Mrd. Euro aufgewendet, davon allein rund 16,5 Mrd. Euro für die Sozialversicherungsbeiträge an die Arbeitgeber. Das ist teuer, aber Massenarbeitslosigkeit wäre noch teurer für die Gesellschaft geworden. Das Kurzarbeitergeld wirkt zudem auch als makroökonomischer Stabilisator für die Gesamtwirtschaft. Deswegen ist es auch richtig, dass ich diese Brücke jetzt noch ein Stück verlängere, um weitere Vorsorge zu betreiben.
Dennoch sind noch mehrere Hunderttausend Menschen mehr arbeitslos als vor Ausbruch der Corona-Pandemie. Wie können diese stärker bei der Re-Integration in den Arbeitsmarkt unterstützt werden?
Seit diesem Frühjahr verbessert sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt deutlich. Beschäftigung, Erwerbstätigkeit und offene Stellen steigen, während Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit zurückgehen. Die Arbeitslosigkeit liegt allerdings trotz der Rückgänge weiterhin über dem Vorkrisenniveau. Den Agenturen für Arbeit und Jobcentern steht ein breites arbeitsmarktpolitisches Instrumentarium zur Verfügung, um Menschen in Beschäftigung zu bringen. Und zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit setze ich weiter auf den sozialen Arbeitsmarkt − also auf die Regelungen, die wir mit dem Teilhabechancengesetz entwickelt haben.
Kann die Bundesagentur für Arbeit, die auch in diesem Jahr noch in überdurchschnittlichem Umfang Kurzarbeitergeld bezahlt, kommendes Jahr weiter auf zusätzliche Unterstützung durch den Bund hoffen, um ihren Haushalt zu entlasten?
Ja, das kann sie. Wir hatten allein 26 Mrd. Euro an Rücklagen aus den guten Arbeitsmarktzeiten. Die haben wir im Kampf um Arbeitsplätze voll eingesetzt, der weitere Finanzbedarf wurde aus dem Bundeshaushalt beigesteuert. Wenn es nötig ist, wird der Bund auch weiter Mittel bereitstellen.
Der Ausbildungsmarkt schwächelte schon vor der Coronakrise und hat durch sie noch stärker gelitten. Der „Sommer der Ausbildung“ zeigt bislang nur mäßigen Erfolg. Gibt es Überlegungen, wie Ausbildungswillige und lehrende Betriebe besser zusammengeführt werden können?
Mir ist es ganz wichtig, dass Unternehmen auch in diesem Sommer weiter ausbilden und dass junge Menschen ihre Zukunft in einer betrieblichen Berufsausbildung sehen. Wir werden diese Fachkräfte in den nächsten Jahren dringend brauchen. Deshalb unterstützen wir mit der Ausbildungsprämie und unserem erweiterten „Schutzschirm für Ausbildungsplätze“ kleine und mittelständische Unternehmen. Ich rufe gerade kleine Unternehmen dazu auf, weiter auszubilden und unsere Ausbildungsprämie zu nutzen. Jetzt gilt es, massiv in die Nachvermittlung von jungen Menschen in freie Ausbildungsplätze zu gehen.
Was ist Ihre Antwort auf den Fachkräftemangel?
Der Fachkräftemangel darf nicht zur Wachstumsbremse werden. Wir beobachten und analysieren die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt sehr genau. Mit der Unterstützung der beruflichen Weiterbildung wirken wir dem drohenden Fachkräftemangel entgegen. Hierfür haben wir in dieser Legislaturperiode mit dem Qualifizierungschancengesetz, dem Arbeit-von-morgen-Gesetz und dem Beschäftigungssicherungsgesetz die Fördermöglichkeiten deutlich ausgeweitet und auch einen Rechtsanspruch zum Nachholen eines Berufsabschlusses geschaffen. Auch mit der Nationalen Weiterbildungsstrategie und den Weiterbildungsverbünden in den Regionen haben wir wichtige Grundlagen dafür gelegt, dass die Fachkräfte von heute auch die Arbeit von morgen erledigen können. Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz hilft uns darüber hinaus, gezielt Fachkräfteengpässe zu lindern. Der Schwerpunkt liegt hier auf der Gewinnung von Fachkräften mit qualifizierter Berufsausbildung.
Worin sehen Sie die größte Herausforderung für die neue Regierung nach der Wahl in Bezug auf den deutschen Arbeitsmarkt?
Wir brauchen qualifizierte Beschäftigte, um dem Klimawandel und auch der Digitalisierung wirksam begegnen zu können. Darin sehe ich übergreifend die Mammutaufgabe für die kommende Legislatur. Wir brauchen Qualifizierung auf ganz breiter Front, in allen Branchen und für alle Personengruppen. Dafür braucht es eine Bundesagentur für Arbeit und noch mehr Qualifizierung. Wir müssen dafür sorgen, dass Deutschland den Weg in die Weiterbildungsrepublik geht.
Die Umfragen stehen derzeit gut für Ihre Partei, die Sozialdemokraten. Können Sie sich vorstellen, sich nach der Wahl wieder als Bundesarbeitsminister zur Verfügung zu stellen?
Ich habe zwei Ziele: Erstens möchte ich meinen Wahlkreis Gifhorn in Niedersachsen wieder direkt gewinnen. Zum anderen möchte ich meinen Beitrag für ein starkes Ergebnis der SPD leisten, damit Olaf Scholz Bundeskanzler wird. Da ich noch viel vorhabe, würde ich gerne als Arbeits- und Sozialminister weitermachen. Das Thema „Zukunft der Arbeit“ beschäftigt mich sehr. Die Digitalisierung und der Klimawandel sorgen hier für schnellen und auch dringlichen Wandel. Die Zulieferindustrie etwa im Automobilbereich wird sich massiv verändern. Ich möchte dafür sorgen, dass die Beschäftigten von heute die Möglichkeit haben, die Arbeit von morgen zu machen. Dafür brauchen wir unter anderem einen Rechtsanspruch auf Weiterbildung und Bildungsauszeiten. Nicht nur diese Vorhaben möchte ich unbedingt umsetzen.
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