EZB-Projektionen

Lagarde räumt „großes Problem“ mit Inflation ein

Die Ökonomen der Europäischen Zentralbank haben ihre Projektionen deutlich nachjustiert: Die Inflation soll bis zum Ende des Prognosezeitraums 2024 über dem 2-Prozent-Preisziel liegen.

Lagarde räumt „großes Problem“ mit Inflation ein

ms/rec Amsterdam/Frankfurt

Die Europäische Zentralbank (EZB) schlägt in Sachen Inflation deutlich besorgtere Töne an. EZB-Chefin Christine Lagarde räumte im Anschluss an die Sitzung des EZB-Rats in Amsterdam ein, die auf über 8% gestiegene Teuerung in Euroland stelle ein „großes Problem“ dar. Der EZB-Rat konstatiert im Zuge seiner jüngsten geldpolitischen Beschlüsse: „Die Inflation wird noch einige Zeit unerwünscht hoch bleiben.“ Die Projektionen für die Inflationsentwicklung hat die EZB einmal mehr nach oben korrigiert. Sie sieht die Inflation nun bis einschließlich 2024 über ihrem 2-Prozent-Ziel. Sorgen um nachlassendes Wachstum stehen in ihren Prioritäten erkennbar hintan.

Viel länger als andere Zentralbanken hatte die EZB an dem Narrativ festgehalten, dass die hohe Inflation nur vorübergehend sei, und ein starkes geldpolitisches Gegensteuern abgelehnt. So erklärt sich, dass sie bis zuletzt immer noch in großem Stil Anleihen aufkaufte und an Null- und Negativzinsen festhielt. Das sorgte vor allem in Deutschland für immer mehr Kritik – und teils öffentlichen Dissens unter den Euro-Hütern.

Der EZB-Rat räumt ein, dass der Inflationsdruck „an Breite und Intensität gewonnen“ hat. Für dieses Jahr kalkuliert die EZB mit einer Inflationsrate von durchschnittlich 6,8%. 2023 erwartet sie 3,5% und 2024 dann 2,1%. Alle Prognosen sind höher als im März. Die Aufwärtsrevision für 2024 ist besonders relevant, weil die EZB somit erstmals damit rechnet, dass die Inflation bis zum Ende des von ihr betrachteten Zeitraums über ihrem Ziel von glatt 2% liegen dürfte. Für den EZB-Rat sind damit die Bedingungen für den Start von Zinserhöhungen erfüllt (siehe Text oben auf dieser Seite).

Wenngleich die Euro-Notenbanker immer betonen, dass die Projektionen Vorhersagen der EZB-Volkswirte sind und nicht ihre eigenen, kommt denen stets eine besondere Bedeutung zu. Sie sind zentral für die geldpolitischen Entscheidungen. Im Gegensatz zur US-Notenbank Fed mit den sogenannten Dot Plots veröffentlichen die EZB-Ratsmitglieder keine eigenen Prognosen für Wachstum oder Inflation. Zuletzt ist Kritik an den Projektionen gewachsen, weil auch sie das Inflationsproblem im Euroraum stark unterschätzt haben.

Im Mai ist die Inflation im Euroraum auf 8,1% gesprungen. In Deutschland liegt sie noch höher. Auch die Kerninflation ist auf den höchsten Stand in der Ära des Euro gestiegen, auf 3,8%. Die sehr stark gestiegenen Preise für Energie sowie jene für Lebensmittel sind hier außen vor. Die EZB erwartet, dass auch die Kerninflation bis einschließlich 2024 die Marke von 2% übertreffen wird. Dass auch die Inflationserwartungen merklich über die 2-Prozent-Marke gestiegen sind, schürt Sorgen mit Blick auf Lohnforderungen. Lagarde sagte, die Löhne dürften etwas stärker steigen, sie dämpfte aber Sorgen vor einer Lohn-Preis-Spirale.

Der EZB-Stab hat seine Wachstumsprognosen zwar abgesenkt, auf 2,8% in diesem und 2,1% im nächsten Jahr. Zugleich betont der EZB-Rat: „Die Bedingungen für ein weiteres Wirtschaftswachstum sind jedoch gegeben“. Die Ökonomen der EZB sind etwas zuversichtlicher als die Industrieländervereinigung OECD. Deren Experten taxieren das Wachstum in Euroland für das laufende Jahr auf 2,6% und für 2023 auf 1,6%. Ein Negativszenario hat die EZB für den Fall berechnet, dass wegen des Ukraine-Kriegs die Energiekrise eskaliert: Dann dürfte die Euro-Wirtschaft 2023 schrumpfen (siehe Grafik).

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