Langstreckenlauf zum Klimaziel
wf Berlin
„Es wird ein Langstreckenlauf.“ Mit diesen Worten stimmte der designierte Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) vor der Presse in Berlin Wirtschaft und Gesellschaft auf die Transformation Deutschlands zur Klimaneutralität bis 2045 ein. Am Morgen hatten die Partei- und Fraktionsvorsitzenden sowie Generalsekretäre von SPD, Grünen und FDP den Koalitionsvertrag unterzeichnet.
Bis 2030 soll der Anteil erneuerbarer Energien nach dem Willen der künftigen Bundesregierung auf 80% des Stromverbrauchs deutlich wachsen. Bisher lag das Ziel bei 65%, aktuell beträgt der Anteil erst rund 50%. Um dorthin zu kommen, muss das Ausbautempo verdreifacht oder vervierfacht werden. „Das wird eine große Kraftanstrengung sein“, sagte Habeck mit Blick auf diese Pläne, die er als vorrangige Aufgabe seines Ministeriums sieht. Der Weg zur Klimaneutralität werde nicht ohne Zumutungen gelingen und viele Gespräche brauchen, machte Habeck deutlich.
Erfolg erst mit Verzögerung
Der künftige Minister konstatiert einen Rückstand Deutschlands beim Ausbau der erneuerbaren Energien, der noch eineinhalb bis zwei Jahre mitgeschleppt werde. Habeck sagte, im ersten Jahr müssten vor allem strukturelle Verbesserungen gefunden und beschlossen werden. „Die Wirksamkeit wird sich, denke ich, vor allem im zweiten oder dritten Jahr entfalten können“, prognostizierte er. Schnelle Erfolge verspricht er sich davon, in einem ersten Schritt schon für erneuerbare Energien ausgewiesene Flächen zu aktivieren, die derzeit aus anderen Gründen geschützt seien.
Große Konflikte der neuen Ampel-Regierung mit der international vernetzten, starken deutschen Wirtschaft auf dem Weg zur Klimaneutralität sieht Habeck nicht. Er verwies auf eine „Riesenchance“ an Innovation, Wachstum und neuen Märkten. „Das wirtschaftliche System wird so reformiert, dass Wachstum und Klimaschutz sich organisch miteinander verbinden“, sagte Habeck. Dafür die Gesetze zu machen, die Leitplanken neu zu justieren, darauf die Förderprogramme auszurichten – dies sei die eigentliche Aufgabe der neuen Regierung. In der Wirtschaft habe er schon in den vergangenen Jahren Veränderungswillen beobachtet. „Die Wirtschaft wartet, dass die Investitionsunterstützung freigegeben wird, dass die Regulierung nachzieht.“ Der Wunsch, diesen nächsten Wachstumsschritt zu gehen, sei greifbar. Jetzt werde die politische Unterstützung folgen. Trotz aller Zumutungen hielte Habeck es für den größten Fehler, „nicht zu handeln, um aus der Sozialen Marktwirtschaft eine Ökosoziale Marktwirtschaft zu machen“. Er hoffe, dass die Wirtschaft die neue Regierung und auch das Ministerium als Partner begreife.
Aufbruch im Futurium
Für die kurze und schlichte Zeremonie der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags wählte die Ampel das „Futurium“, ein Ausstellungsgebäude im Regierungsviertel zu verschiedenen Zukunftsfeldern von Wissenschaft, Wirtschaft und Politik. Die alte Regierung hatte dort bereits das Klimaschutzpaket inmitten der „Fridays for Future“-Demonstrationen präsentiert. Die neue Vereinbarung trägt den Titel „Mehr Fortschritt wagen“. Der designierte Kanzler Olaf Scholz sagte: „Das soll ein Morgen sein, bei dem wir aufbrechen zu einer neuen Regierung.“ Die Verhandlungsergebnisse der letzten Wochen machten Fortschritt möglich. Die ganze Kraft der neuen Regierung werde aber zunächst einmal der Kampf gegen die Coronakrise fordern, hielt Scholz fest. Habeck gab für die Ampel-Koalition das Ziel aus, „eine Regierung für die Menschen in Deutschland“ zu sein. Grünen-Co-Chefin Annalena Baerbock sprach von einem Koalitionsvertrag „auf der Höhe der Wirklichkeit, auf der Höhe der gesellschaftlichen Realität“. FDP-Chef Christian Lindner sagte: „Jetzt beginnt die Zeit der Tat.“ Zugleich relativierte er die Ziele der Ampel. „Wir geben uns keiner Illusion hin. Das sind große Herausforderungen, vor denen wir stehen.“
Mit dem Koalitionsvertrag ist die Grundlage geschaffen, dass der Bundestag an diesem Mittwoch Scholz zum Bundeskanzler wählen kann. Am Vormittag wird auch das Bundeskabinett vereidigt. Die Übergabe des Kanzleramtes von Angela Merkel (CDU) an Scholz ist für Donnerstag vorgesehen. Im Anschuss daran wird Lindner zufolge Scholz das Bundesfinanzministerium an ihn übergeben. Die beamteten Staatssekretäre will Lindner erst bekannt geben, wenn er offiziell im Ministerium eingezogen ist. Am Freitag tritt Scholz seine erste Auslandsreise an. Sie führt nach Paris, um die deutsch-französische Freundschaft und die Bedeutung der beiden Länder in der Europäischen Union zu unterstreichen.