Mehr investieren statt konsumieren
Um die Wirtschaft für die Zeit nach der Coronakrise zu stärken, werden vielerorts die Rufe nach Konsumgutscheinen lauter. Denn in unsicheren Zeiten ist das Sparen eine nur allzu menschliche Reaktion. Und nur wenige Jahre waren so von Unsicherheit geprägt wie das vergangene. Auf die Coronakrise reagierten die Menschen in Europa, indem sie mehr auf die hohe Kante legten. Und so stieg die Sparquote der Haushalte im dritten Quartal 2020 um mehr als 17% auf den laut Eurostat zweithöchsten Wert seit 1999, als man begann, diese Zahlen systematisch zu erfassen.
Äußerst zurückhaltend sind die Sparer aber, wenn es darum geht, das Ersparte von Spar- in Anlagekonten zu verschieben. Die Daten von Eurostat zeigen auch, dass die Anlagequote im obigen Zeitraum zwischen 8 und 9% schwankte und seit 2012 quasi unverändert ist. Zudem hat sie sich immer noch nicht von den Folgen der Finanzkrise 2008 erholt, als die Anlagequote bei über 11% lag.
Aus diesen Zahlen sprechen viele Geschichten, unter denen eine besonders hervorsticht: die über die Opportunitätskosten. Ein Sparvermögen auf einem Bankkonto, das fast keine Zinsen bringt, trägt nichts zur wirtschaftlichen Erholung bei und hilft auch nicht, das für die Rente zurückgelegte Vermögen zu mehren. Wenn man das für viele Haushalte und über viele Jahre aufaddiert, kommt ein gewaltiger Betrag zusammen. Laut Schätzungen der Interessenvertretung der europäischen Investmentfondsindustrie Efama wäre das Vermögen der Privathaushalte in Europa rund 1,2 Bill. Euro höher, wenn sie ihre Bankeinlagen in den Jahren 2008 bis 2019 reduziert und stattdessen in Aktien und Anleihen angelegt hätten.
Politik im Dilemma
Und so steht die Politik nach Corona vor einer schwierigen Aufgabe. Unternehmen und in gewissem Maße auch die Finanzminister haben großes Interesse daran, dass diese Ersparnisse über den Konsum zurück in die Wirtschaft fließen. Aber sich allein auf den kurzfristigen Konsum als eine Stütze der Konjunkturerholung zu konzentrieren, würde bedeuten, eine gute Gelegenheit, die Beteiligung der Kleinanleger an den Kapitalmärkten der Europäischen Union zu erhöhen, ungenutzt zu lassen. Denn auf diese Weise könnten die Sparvermögen in die Art von langfristigem Wohlstand gelenkt werden, die man in den vergangenen zehn Jahren verschenkt hat. Eine von Investitionen getriebene Erholung brauchen wir mindestens so sehr wie einen konsumgetriebenen Aufschwung.
Daher begrüßen wir die Initiative im Rahmen der Kapitalmarktunion, die Beteiligung der Kleinanleger an den Märkten über Programme wie das Paneuropäische Private Pensionsprodukt PEPP, über ein Renten-Dashboard und eine Angleichung der Produktoffenlegungsstandards zu fördern. Unsere Zustimmung finden auch die anstehende Überprüfung der Mifid- (und IDD-)Richtlinie im Hinblick auf den Fondsvertrieb.
Aber für die Welt nach Corona braucht es eine schnelle Antwort. Eine, die sich die positiveren Aspekte des durch die Pandemie veränderten Konsumverhaltens zunutze macht: die europaweit beobachtete Verlagerung ins Internet. Nach unserer Überzeugung sollten Online-Tools für die Altersvorsorge und Finanzplanung, die auf Open-Finance-Standards aufbauen und zur finanziellen Inklusion beitragen, ein Eckpfeiler der künftigen Politik sein.
Gesundes Finanzsystem
Finanzplanungstools sind in zweifacher Hinsicht von Nutzen, wenn es um die Beteiligung von Kleinanlegern am Kapitalmarkt geht: Mit ihnen steigt langfristig die Zahl der Privatanleger an den Märkten, während sie zugleich strategische Anlagen statt kurzfristiges Spekulantentum fördern.
Das ist in einer Zeit besonders wichtig, in der der Wertpapierhandel durch die „Gamifizierung“ schon fast spielerisch anmutet und dadurch die Hürden, zu spekulieren, statt zu investieren, weiter sinken. Der Sparinstinkt kann schnell in erhöhte Risikobereitschaft umschlagen, wenn die Unsicherheiten abebben.
Daher müssen wir so schnell wie möglich alle Hebel in Bewegung setzen, um potenzielle Kleinanleger einzubinden, das Vertrauen der Bürger in die Kapitalmärkte wiederherzustellen und ihre Beteiligung an den Kapitalmärkten zu fördern. Tun wir dies nicht, riskieren wir ein weiteres Jahrzehnt mit magerer Anlagequote.