InterviewAnna Cavazzini, EU-Parlament

„Mehr Zeit, das EU-Lieferkettengesetz nicht zu entkernen“

Das EU-Parlament hat vorige Woche − auch mit den Stimmen der meisten grünen EU-Abgeordneten − die Anwendung des EU-Lieferkettengesetzes vertagt. Die EU-Parlamentarierin Anna Cavazzini erläutert die Gründe für das Votum.

„Mehr Zeit, das EU-Lieferkettengesetz nicht zu entkernen“

Interview: Anna Cavazzini

„Mehr Zeit, das EU-Lieferkettengesetz nicht zu entkernen“

Die grüne Europaabgeordnete über die Verschiebung der Anwendung europäischer Sorgfaltspflichten-Vorgaben

Das EU-Parlament hat vorige Woche die Anwendung des EU-Lieferkettengesetzes vertagt. Die EU-Parlamentarierin Anna Cavazzini erläutert die Gründe für das Votum.

Frau Cavazzini, das EU-Parlament hat der Verschiebung der Anwendung von CSRD (zweite und dritte Welle) und CSDDD zugestimmt. Warum haben auch Sie dafür gestimmt, Zeit zu gewinnen?

Wir Grüne haben mit den Konservativen, mit den Sozialdemokraten und Liberalen verhandelt, damit das Parlament in der demokratischen Mitte bleibt, also die vier Fraktionen, die Ursula von der Leyen zur Kommissionspräsidentin gewählt haben, die weiteren inhaltlichen Änderungen am Lieferkettengesetz verhandeln – und sich die Europäische Volkspartei eben nicht die einfache Mehrheit rechts außen sucht, die das Lieferkettengesetz komplett abschaffen will. Und wir haben es geschafft.

Was genau haben Sie mit den anderen Fraktionen abgestimmt?

Erstmals gibt es jetzt die klare und schriftliche Vereinbarung der vier Fraktionen, die Gesetze in der demokratischen Mitte des Parlaments zu verhandeln – darauf haben wir Grüne immer gedrängt. Im Gegenzug haben wir heute mehrheitlich für den Vorschlag der einjährigen Verschiebung gestimmt: Mehr Zeit, genau diese Kompromisse auszuhandeln. Mehr Zeit, das EU-Lieferkettengesetz nicht zu entkernen. Mehr Zeit, den Green Deal zu verteidigen.

Was halten Sie von den inhaltlichen Korrekturen, die Frau von der Leyen vorgeschlagen hat?

Es ist wichtig, Berichtspflichten zu vereinfachen und insbesondere kleine Unternehmen zu entlasten. Den sogenannten Nachhaltigkeits-Omnibus haben wir Grüne von Anfang an kritisiert: Von der EU-Kommission wurde die Initiative ohne Konsultation übers Knie gebrochen. Wenn die zivilrechtliche Haftung aus dem EU-Gesetz gestrichen wird, führt es zu einer Fragmentation auf dem Binnenmarkt.

Was ist mit den Sorgfaltspflichten?

Die Sorgfaltspflichten nur auf die ersten Zulieferer zu reduzieren, bringt den Unternehmen keine Entlastung, denn die ersten Zulieferer sitzen meistens in der EU. Stattdessen muss der risikobasierte Ansatz gestärkt und eine schiere Weitergabe der Pflichten von den großen an die kleinen Unternehmen verhindert werden, wie wir das im ursprünglichen Gesetz verankert hatten. Und genau das gilt es, in den jetzt anstehenden Verhandlungen wieder zu korrigieren.

Sie sehen es also kritisch, die Sorgfaltspflichten auf direkte Geschäftspartner zu begrenzen? Wie beurteilen Sie die Überlegungen, die Haftungspflichten zu beschränken?

Um es klar zu sagen: Auch den Umfang des europäischen Lieferkettengesetzes einzuschränken, halte ich für nicht richtig. Viele Probleme entstehen auch bei Zulieferern in komplexen Lieferketten und auch hier muss es am Ende Verantwortliche für die gesamte Lieferkette geben. Ohne zivilrechtliche Haftung allerdings wäre das gesamte Gesetz zahnlos. Denn wieso sollte ich mich als Unternehmen an Regeln halten, wenn keine haftungsrechtlichen Konsequenzen bei Verstößen drohen?

Wie werden die EU-Gesetzgeber nun vorgehen? In welchen Formaten wird diskutiert?

Die anstehenden Verhandlungen finden nun im Rechtsausschuss des Europaparlaments statt, mit dem Ziel einer Parlamentspositionierung, mit der wir mit dem Rat verhandeln können. Die Diskussion werden nicht leicht, das ist spätestens nach dieser Woche klar. Aber ich werde weiterhin alles dafür tun, dass wir die richtige Balance finden aus unternehmerischer Verantwortung und schlankem bürokratischem Aufwand.

Wann rechnen Sie mit ersten Ergebnissen darüber, ob und inwieweit CSRD und CSDD inhaltlich verändert werden?

Nach dieser Woche gibt es eine neue Frist, nämlich die Umsetzung des EU-Lieferkettengesetzes bis Juli 2027. Die Regeln gelten dann ab 2028 für die ersten Unternehmen. Das heißt, dass wir Änderungen rechtzeitig vorher beschließen müssen, damit sich Unternehmen darauf einstellen können. All diese Planungsunsicherheit, das Chaos und auch der Zeitdruck wären nicht nötig gewesen, wären wir bei dem einmal demokratisch beschlossenen Gesetz aus der letzten Legislaturperiode geblieben, auf das sich Unternehmen bereits eingestellt hatten.

Die Fragen stellte Detlef Fechtner.

Die Fragen stellte Detlef Fechtner.

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