Negative Überraschung für die EZB
Negative Überraschung für die EZB
Kernrate der Inflation steigt an – Teuerung im Euroraum bei 2,6 Prozent
mpi Frankfurt
Der Disinflationsprozess in der Eurozone gerät immer stärker ins Stocken. Nachdem die Teuerung bereits im April stagniert hatte, legte sie im Mai sogar zu. Die Verbraucherpreise stiegen im Vergleich zum Vorjahresmonat um 2,6%, wie Eurostat am Freitag bekannt gab. Im April hatte die Inflationsrate noch 2,4% betragen. Während Ökonomen den Anstieg der Gesamtrate in diesem Ausmaß prognostiziert hatten, wurden die meisten Volkswirte von der Zunahme der Kernrate überrascht.
Die Kerninflation, bei der die schwankungsanfälligen Energie- und Lebensmittelpreise nicht berücksichtigt sind, kletterte von 2,7 auf 2,9%. Die Kernrate gilt als guter Gradmesser für den zugrundeliegenden Preisdruck, weswegen die Europäische Zentralbank (EZB) diese genau beobachtet. „Aufseiten der EZB dürften die neuesten Inflationsdaten leichtes Kopfzerbrechen erzeugen“, meint Daniel Hartmann, Chefvolkswirt bei Bantleon. Er verweist auf die hohe Inflation bei Dienstleistungen, die im Mai von 3,7 auf 4,1% gestiegen ist.
Hohes Lohnwachstum
Die Teuerung bei Dienstleistungen beeinflusst stark die Entwicklung der Kernrate. Die Zunahme des Preisdrucks in diesem Sektor ist zum einen auf staatliche Maßnahmen zurückzuführen, wie die Erhöhung der Mehrwertsteuer in der Gastronomie in Deutschland zu Jahresbeginn. Manche Restaurants erhöhen ihre Preise erst jetzt mit Verzögerung.
„Die Entwicklung ist aber auch Ausdruck von anhaltendem heimischen Preisdruck“, sagt Hartmann. Denn im arbeitsintensiven Service-Sektor macht sich das hohe Lohnwachstum besonders bemerkbar. Die Tariflöhne in der Eurozone waren im ersten Quartal um 4,7% gestiegen. Damit hatte sich das Lohnwachstum zu Jahresbeginn etwas beschleunigt. Die EZB erwartet, dass es sich im Jahresverlauf abschwächt. Auch nach der Veröffentlichung der Lohndaten für das erste Quartal blieb die Notenbank bei dieser Einschätzung und relativierte die Daten in einem Blogbeitrag. Andere Indikatoren für die Lohnentwicklung würden auf eine nachlassende Dynamik hindeuten.
„Warnschuss“ für die Notenbank
Unter anderem die Ökonomen der Commerzbank sehen das anders. „Aufgrund der stark steigenden Lohnkosten scheint sich diese Preissteigerung zunehmend zu verfestigen“, meint Vincent Stamer, Volkswirt der Bank. Das Lohnwachstum dürfte laut Einschätzung der Commerzbank 2024 hoch bleiben. „Vor der nächsten EZB-Sitzung in der kommenden Woche sind diese Zahlen damit ein Warnschuss für die EZB.“
EZB vor Zinssenkung
Auf dieser Sitzung wird es aller Voraussicht nach eine erste Zinssenkung der EZB um 25 Basispunkte geben. Die Debatte im Rat hat sich inzwischen dahingehend verlagert, wie viele Zinsschritte in diesem Jahr noch folgen werden – und wann. Während einige eine zweite Lockerung im Juli für möglich halten, haben andere Notenbanker bereits öffentlich betont, dass sie dahingehend derzeit keine Notwendigkeit sehen. Der italienische Notenbankpräsident Fabio Panetta, der für eine eher lockere Geldpolitik steht, bezeichnete die jüngsten Inflationsdaten am Freitag als „weder gut noch schlecht“.
Während einige Volkswirte vor einer hartnäckigen Inflation warnen, die der EZB das Leben in den kommenden Monaten schwermachen könnte, verbreitet das Ifo-Institut Optimismus. Wie aus einer am Freitag veröffentlichten Umfrage der Münchner Wirtschaftsforscher hervorgeht, planen wieder weniger Unternehmen in Deutschland Preiserhöhungen. „Daher dürfte die Inflationsrate in den kommenden Monaten wieder zurückgehen und im August erstmals seit März 2021 unter die 2-Prozent-Marke sinken“, sagte Ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser. Die Chefvolkswirtin für Europa bei Vanguard, Jumana Saleheen, erwartet für die Euro-Inflation ebenfalls Fortschritte bei der Dinsinflation. „Wir gehen davon aus, dass die Inflation trotz der Schwankungen auf dem besten Weg ist, bis zum Jahresende wieder ihren Zielwert zu erreichen.“