Italien

Neuwahlen schon im Herbst

Italiens Ministerpräsident Mario Draghi ist zurückgetreten. Nun sind die vorgezogenen Neuwahlen terminiert – und das Land muss um Milliarden an EU-Geldern bangen.

Neuwahlen schon im Herbst

bl Mailand

Italiens Premierminister Mario Draghi ist zurückgetreten. Nach einer sehr kurzen Erklärung vor dem Abgeordnetenhaus, in der er den Parlamentariern mitteilte, er werde Staatspräsident Sergio Mattarella seinen „Entschluss“ mitteilen, reichte er kurz darauf bei diesem seine Demission ein. Mattarella, der noch in der vergangenen Woche Draghis Rücktritt nicht angenommen hatte, akzeptierte ihn diesmal.

Donnerstagabend entschied sich der Staatspräsident, ein Dekret zur Auflösung der beiden Kammern des Parlaments zu unterzeichnen. Da­nach müssen innerhalb von 70 Tagen Neuwahlen stattfinden. Als Wahltermin wurde der 25. September festgelegt. Normalerweise hätte es erst im Frühjahr 2023 Neuwahlen gegeben.

Draghi und seine Regierung bleiben bis zur Bildung einer neuen Regierung geschäftsführend im Amt. Je nachdem, wie klar das Wahlergebnis ausfallen wird, könnte Draghi bis weit in den Herbst hinein an der Spitze der Exekutive bleiben. Allerdings kann er kaum neue Initiativen auf den Weg bringen. Umfragen zufolge würde die politische Rechte unter Führung der rechtsnationalen und populistischen Fratelli d’Italia (FdI), der ebenfalls rechten Lega und der Mitte-Rechts-Partei Forza Italia von Ex-Premier Silvio Berlusconi die Wahlen deutlich für sich entscheiden. Diese Parteien fordern Milliarden-Konjunkturprogramme und sind stark europakritisch. Lega und FdI stehen der französischen Rechtsradikalen Marine Le Pen und Ungarns Regierungschef Viktor Orbán nahe.

Draghi hatte am Mittwochabend im Senat zwar das Vertrauen der Parlamentarier erhalten. Nur die Partei Fratelli d’Italia stimmte gegen ihn. Doch da Lega, Forza Italia und die 5-Sterne-Bewegung sich bei der Vertrauensabstimmung der Stimme enthielten, erhielt Draghi nur die Zu­stimmung eines knappen Drittels der Senatoren für seine Politik. Das reichte ihm nicht. Er wollte nur mit einer klaren Mehrheit für seine Politik, deren Inhalte er am Mittwoch im Senat vorgestellt hatte, weitermachen. Lega und Forza Italia hatten für eine weitere Unterstützung des Premierministers jedoch Bedingungen gestellt, darunter die Abberufung mehrerer Minister, eine Regierung ohne die 5-Sterne-Bewegung und ein schuldenfinanziertes Konjunkturprogramm. Dies war für Draghi inakzeptabel.

In der von einer breiten parlamentarischen Mehrheit getragenen Re­gierung, die seit Februar 2021 im Amt ist, hatte es seit Monaten immer heftigere Auseinandersetzungen ge­geben. Vor allem die Lega machte massiv Front etwa gegen die Reform des Wettbewerbsrechts mit einer Neuausschreibung der Strandbadkonzessionen, einer Liberalisierung des Taximarktes, aber auch einer Reform des Katasterrechts sowie gegen weitere Waffenlieferungen an die Ukraine. Außerdem forderte die Partei ein riesiges Konjunkturprogramm. Auch die 5-Sterne-Bewegung, die bei den Parlamentswahlen im Frühjahr 2018 mit 32% die stärkste politische Kraft geworden war, machte gegen die Politik Dra­ghis mobil und spaltete sich schließlich.

Die wachsende politische Unsicherheit ließ die Finanzmärkte auch am Donnerstag absacken. Die Mailänder Börse schloss mit einem Minus von 0,71%, der Zinsabstand (Spread) zwischen deutschen und italienischen 10-Jahres-Anleihen stieg zeitweise über 240 Basispunkte und lag am Abend bei 229 Punkten. Damit verteuern sich die Finanzierungsbedingungen für Staat und Unternehmen erheblich. In den kommenden eineinhalb Jahren muss Rom auslaufende Bonds im Umfang von 500 Mrd. Euro erneuern. Der Spread war zeitweise höher als der Zinsabstand zwischen deutschen und griechischen Bonds.

Mit dem Ende der Regierung Dra­ghi könnte die EU Italien die Gelder aus dem Europäischen Wiederaufbauprogramm streichen. Sie sind an die Einhaltung eines strengen Reformprogramms geknüpft. Allerdings gewährt die EU Ländern, die vor Wahlen stehen, für gewöhnlich einen Aufschub bei der Umsetzung der Reformen. Dennoch sind Milliardenhilfen an Italien in Gefahr. Dra­ghi, der zuletzt Solidaritätsbekundungen aus der Welt des Sports, der Wirtschaft, der Kultur und von mehr als 2000 Bürgermeistern erhalten hatte, ist bisher fünf Tage kürzer im Amt als Mario Monti, der von 2011 bis 2013 eine technische Regierung führte.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.